Schneewittchens Tod
Nachbarn. Was willst du sonst noch wissen? Heute ist die Bahn frei, Punkt, aus.«
»Okay, hast du immer noch den zweiten Schlüssel?«
»Klar.«
»Er steht vor dem Haus. Aber stör mich nicht, ich arbeite.«
»Du bist ein Schatz, weißt du? Ich bringe ihn dir um drei Uhr zurück. Also, bis später, und danke.«
»Mein einziger Augenblick der Freiheit.« Die Kinder bei Belle-Mamie, kein Gärtner, keine Ehemann, keine Köchin, dafür eine Aicha, die begeistert war, mit Greg-dem-Aufreißer allein zu sein. Der den Wagen um drei Uhr zurückbringt. Madame Andrieu hatte also nicht die Absicht, zum Mittagessen nach Hause zu fahren. Und wo beabsichtigte Madame Andrieu zu Mittag zu speisen? In der Miniatur-Leichenhalle von Monsieur Moreno? »Ich habe Dobermann-Steaks, Sie werden sehen, wie gut das schmeckt, meine Liebe.«
Apropos Dobermann, er sollte sich an die Arbeit machen, wenn er rechtzeitig fertig werden wollte. Sein Herrchen, ein ehemaliger Postler, wartete ungeduldig darauf, ihn mit nach Hause zu nehmen. »Mein Tarzan! Vergiftet! Wirklich niederträchtig! Ein so sanftes und freundliches Tier! Die Menschen sind so grausam!«
Tarzan lag auf der Seite, die Augen glasig. Ein prächtiges Tier, schlank, reinrassig. Lange, gelbe, spitze Zähne. Sein Drosselhalsband, Anhänger mit eingeprägtem Namen, lag neben ihm. Tarzan würde die Zweizimmerwohnung seines Herrchens zieren, dem er fast bis zur Taille reichte. Es musste schon beeindruckend sein, wenn man seine Dosenravioli vor dem Fernseher aß und einem dabei ein Dobermann über die Schulter sah.
Der Hund stank. Er musste ihn dringend ausnehmen. In der Bauchmitte und hinter den Beinen einen Schnitt machen, sorgfältig die Haut abziehen, sie zur Seite legen, jede Fleischparzelle von den Knochen abkratzen, die er behalten wollte. Das restliche Skelett aus geschmeidigem Harz hatte er bereits angefertigt. Es wartete geduldig darauf, von dem behandelten Fell des Tiers bedeckt zu werden.
Letztendlich war diese Arbeit sehr viel zeitaufwändiger und schwieriger, als einen Menschen zu bearbeiten, denn Menschen waren in den seltensten Fällen dazu bestimmt, auf Sockeln ausgestellt zu werden.
10 Uhr 30. Er legte sein Werkzeug beiseite und warf die schmutzigen Handschuhe in den Mülleimer. Er musste duschen, sich anziehen.
10 Uhr 55. Er stand in seinem Atelier in schwarzer Hose, weißem Hemd, grauer Strickkrawatte. Ein echter Mormone. Noch dazu außer Stande stillzusitzen. Er strich Ruky, dem Fuchs, über den Kopf, schnipste der Eule eine Feder weg, pustete ein imaginäres Staubkorn vom Schwertfisch. Und wenn er sie zum Mittagessen einladen würde? An einen ruhigen, erholsamen Ort? Auf einen Friedhof, Chib, das wäre perfekt.
Und wenn sie sich's anders überlegt hatte und nicht kommen würde? Wenn sie plötzlich keine Lust mehr hatte, ausgenommene, mit Formol gefüllte Kadaver zu sehen? Wenn sie keine Lust mehr hatte, dich, Chib, zu sehen? Und wenn sie einen Unfall gehabt hatte? Voll gestopft mit Beruhigungsmitteln am Steuer ihres Wagens, keine Reflexe mehr, aus der Kurve geflogen, von der Bühne abgetreten?
Die Türklingel.
Sie sah ihn an, die Arme schlaff am Körper, die Handtasche umgehängt, beigefarbenes Kostüm, cremefarbene Bluse, Ringe unter den Augen, nasses Haar .
»Möchten Sie etwas trinken? Eine Cola, ein Suze …«
»Ein Glas Wasser, danke.«
Er ging in die Küche, sie ließ den Blick über die ausgestopften Tiere gleiten.
»Haben sie Namen?«
»Manche. Das ist Ruky, die da ist Hera. Hier bitte.«
Er reichte ihr das Glas.
»Haben Sie's leicht gefunden?«
»Hm.«
»Haben Sie keinen Schirm?«
»Regnet es?«
Er blickte auf die Fensterscheiben. Sie folgte seinem Blick.
»Ah!«
Das Wasser zitterte in ihrem Glas.
»Setzen Sie sich«, sagte er.
Sie sah sich um, nahm auf der schwarzen Couch Platz, trank einen Schluck.
»Die Kinder sind bei Belle-Mamie.«
Er hätte beinahe gesagt >Ich weiße, konnte sich aber gerade noch bremsen.
»Haben Sie schlafen können?«
»Ein wenig. Genug, um Albträume zu haben. Haben Sie auch manchmal Albträume? Ich habe immer den Eindruck, dass Männern so etwas fremd ist.«
»Es kommt schon mal vor.« »Was für eine Art von Albträumen?«
»Ach, ganz banale, ich komme zu spät zur Schule, ich verliere meine Hose mitten auf der Straße …«
»Nein, das meine ich nicht . ich spreche von wirklichen Albträumen. Zugeschnürte Kehle, kalter Schweiß, Herzrasen, das Gefühl, dass es sofort aufhören muss, weil man sonst
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