Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
Tonloses.
Weiter vorn auf der Strecke sehen wir immer wieder Blaulichter zwischen Hügeln auftauchen, vielleicht sind es mehrere Fahrzeuge, es lässt sich aus der Entfernung nicht ausmachen.
Etwa drei Kilometer vor dem Einsatzort steht ein Mopedfahrer an den rechten Straßenrand gedrängt, um uns die ganze Bahn freizulassen; er winkt uns in Richtung des Einsatzortes. Für einen kurzen Moment erhellt zuerst unser Scheinwerfer und dann diese stroboskopartigen blauen Reflexionen unserer Blaulichter sein Gesicht. Sein Blick zeigt Panik.
Dann taucht vor uns das Notarzteinsatzfahrzeug auf und noch etwas weiter am Straßenrand zwei Streifenwagen. Ein verunglücktes Fahrzeug können wir nicht erkennen. Es riecht nach verbranntem Motoröl, aber auch der Gestank unserer heißgelaufenen Bremsbeläge liegt in der Luft.
Von der Straße aus führen Spuren in den Wald. Weiter hinten leuchten einige Handscheinwerfer auf das Wrack eines Autos und auf den Körper einer leblosen Person. Ich renne mit einer Taschenlampe in der einen und dem Notfallkoffer in der anderen Hand dorthin, es knirscht unter meinen Füßen. Entlang der rindenlosen, abgeschabten Stellen an den Bäumen, die das Licht meiner Taschenlampe einfangen, ist das Wrack nicht zu verfehlen. Hier und da liegen Musikkassetten, ein Kissen, eine Tasche, Splitter von einem Blinkerglas. Und ein abgerissenes Kennzeichen – eine österreichische Nummer.
Der Notarzt ist schon vor mir. In der Hocke kniet er bei dieser leblosen Person, aber dann richtet er sich auch schon wieder auf. Dieses Kopfschütteln, das meint: nichts mehr zu machen.
Der Oberkörper des Unfallopfers ist blutüberströmt, das Gesicht ist entstellt. Aber die grau in grau gestreifte Hose erkenne ich sofort. Mir wird schwindelig, ich stolpere ein paar Schritte zur Seite und muss mich übergeben. Etwa zehn Meter vom Wrack des Autos entfernt ist ein Baumstumpf, der mir Halt verspricht. Auf den setze ich mich, abgewendet von der Unfallstelle. »Zu spät«, höre ich noch von irgendwoher die Stimme des Notarztes.
Ich würde gern weinen, aber es geht nicht. Es ist nicht das erste Mal, dass ich so etwas bei einem Einsatz sehe, aber es ist das erste Mal, dass ein Mensch betroffen ist, den ich kenne. Ich höre, wie jemand dem Notarzt zuruft, dass der andere nur leicht verletzt sei. Den Motorgeräuschen im Hintergrund entnehme ich, dass nach und nach alle Fahrzeuge eintreffen, die auf der Anfahrt hierher waren. Ein Kollege von einer anderen Wache, den ich nicht kenne, beugt sich zu mir herunter.
»He, alles okay mit dir?«, fragt er.
»Nein«, sage ich und hoffe, dass er mich in Ruhe lässt.
Der Notarzt kommt dazu. Es ist der gleiche, mit dem wir bei dem Party-Einsatz zusammengearbeitet hatten, bei dem wir Connys Freundin mitgenommen hatten.
»Die aus dem Auto gehören wohl zu der Patientin, die wir vor einer Stunde ins Krankenhaus eingewiesen hatten. Der junge Praktikant dort hat mir erzählt, dass die Friedberger sich vorhin noch mit der …«, der Notarzt schweigt einen Moment lang, dann redet er leise weiter, »… Toten länger unterhalten haben.«
»Dir geht’s nicht gut, ja?«, wendet sich der Arzt jetzt an mich.
Ich nicke. Er sieht mir ins Gesicht.
»Pass auf, du fährst nicht weiter. Die sollen dir eine Ablöse organisieren«, ordnet er an.
»Nein …, wird schon gehen«, erwidere ich, weil ich nicht möchte, dass jemand mit mir oder über mich redet.
Ich will nichts gefragt werden. Ich kann nicht reden. Ich kann ja nicht einmal weinen. Mir ist nur übel.
»Da ist ein Seelsorger unterwegs. Für den Fahrer. Der soll auch mal nach dir sehen.«
Ich will keinen Seelsorger . Was soll das?
»Nein«, sage ich. »Lass mich jetzt einfach in Ruhe. Verstanden? Es geht gleich wieder.«
Ich möchte hier und jetzt mit niemandem reden. Vielleicht kann ich zu Hause darüber sprechen, aber im Moment noch nicht. Und ich möchte auch nicht, dass es die große Runde macht, dass man mich morgen oder beim nächsten Dienst vielleicht noch fragt, ob es mir wieder besser geht.
»Hör mal …«, fängt er noch einmal an.
Ich werde ein wenig lauter, meine Stimme klingt ungewollt aggressiv. »Nein!«, sage ich. »Jetzt passt mal alle gut auf: Ihr lasst mich hier einfach einen Moment sitzen, okay? Ich hab kein Problem, verstanden?! Und ihr kümmert euch um den Fahrer!«
Der Notarzt zuckt mit den Schultern und wendet sich ab. Ich sehe, wie die Kollegen aus Fürstenfeldbruck Moritz aus einem Polizeiauto heraushelfen und
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