Schnittmuster
anwies, sich zu erheben.
»Du kannst dich wieder aufrichten.«
Sheung Fas Gesicht hatte sich seit ihrer letzten Begegnung verändert. Die Zeit ging auch an einem Mann wie Sheung Fa nicht spurlos vorüber. Seine scharfen dunklen Augen kontrastierten mit den silbergrauen, erst kürzlich geschnittenen Haaren, Unter- und Oberlippenbart waren ebenfalls frisch gekürzt. Sein gesamtes Erscheinungsbild wirkte gepflegt, businesslike und sorgfältig kultiviert.
»Tritt näher.«
Sheung Fa sprach Englisch, denn ihre Dialekte waren zu verschieden, dass sie sich darin hätten verständigen können. Er wies mit einer Geste seiner Hand auf den Sessel, der vor seinem Schreibtisch stand, und Rotmaske sank hinein. Dann nahm er die Teekanne und goss ihnen schwarzen Tee ein. Er hantierte betont langsam, zelebrierte das TeeeingieÃen buchstäblich als eine Zeremonie.
Rotmaske betrachtete den Dampf, der aus dem weiÃen, hauchdünnen Chinaporzellan aufstieg. Er wartete höflich, bis Sheung seine Schale an die Lippen führte, und folgte seinem Beispiel. Der heiÃe Tee schmeckte köstlich, wenn auch ein wenig bitter. Zudem war es das Erste, was er seit vierundzwanzig Stunden zu sich nahm.
»Danke, Dai Lo . Danke, dass du mich empfängst.«
Sheung Fa stellte seine Teeschale ab. »Du bist jetzt ein Mann im mittleren Alter, weit weg von den Jugendjahren, an die ich mich erinnere. Wie geht es deinem Vater?«
Rotmaske senkte den Blick. »Vater geht es gut. Aber Zeit nagt an ihm.«
»Die Zeit oder die Vergangenheit?«
»Beides, denke ich.« Er hob die Lider. »Du und ich nicht sprechen über Jahre, Dai Lo , aber ich dir nie vergesse, was du in Vergangenheit für mich getan.«
Sheung Fa lächelte, in seine Augen stahl sich jedoch ein Hauch von Melancholie. »Du warst damals noch ein Junge, ein Kind. Du hättest es allein nicht geschafft.« Sheung Fa warf einen kurzen Blick auf die altmodische Standuhr in einer Ecke des Zimmers. Das Gehäuse aus rotem Chinalack hob sich scharf von der dunklen Wandverkleidung ab. Als er den Gesprächsfaden wieder aufnahm, klang seine Stimme reserviert, aber bestimmt. »Ich denke inzwischen nur noch selten an das Vergangene. Es war schmerzvoll genug. Es ist nicht gut, es wieder an sich heranzulassen.«
Daraufhin verdunkelte sich seine Miene. »Ich weiÃ, was passiert ist. Tut mir leid um deinen Verlust. Deine Aktionen haben allerdings groÃe Besorgnis hervorgerufen.«
»Ich handle nur, wenn nötig.«
»Ach ja? War es nötig, Pham umzubringen? Das hat uns viel Mühe und Arbeit verursacht. Wir haben dafür gesorgt, dass die Leiche beseitigt wurde. Aber die anderen drei, die du zurückgelassen hast, wurden gefunden, und das wird garantiert zu Problemen führen.«
Rotmaske hielt Sheungs Blick stand. Holte zu Erklärungen aus. »Pham versuchte, mein Leben zu beenden. Mir Schuld in Schuhe zu schieben. Der Plan, Dai Lo , stammte nicht von mir, sondern von Pham.«
»Und was ist mit der Verantwortung?«
Rotmaske schlug erneut die Augen nieder. »Die tragen ich ganz allein.«
Sheung Fa trank seinen Tee aus und seufzte hörbar. »Du bist erfrischend ehrlich.«
»Als Pham den Doktor attackierte, ich reagieren.«
Sheung Fa neigte sich vor und legte die Fingerspitzen aneinander. Nach einer kurzen Kunstpause hob er an: »Die Bedenken kommen nicht aus diesem Büro. Sie kommen von höherer Ebene. Von Ãbersee.«
Rotmaskes Kehle war mit einem Mal rau wie ein Reibeisen. » Shan Chu ?«
Sheung Fa nickte. »Ich werde mit ihm sprechen, in deiner Sache. Und versuchen, ihn umzustimmen. Mehr kann ich dir nicht versprechen.«
»Danke, Dai Lo .«
Sheung Fa stand auf. Er war gröÃer als in Rotmaskes Erinnerung, um die einsachtzig und schlank. Er umrundete den Schreibtisch. Als Rotmaske Anstalten machte, sich vor ihm zu verbeugen, winkte der Asiate milde lächelnd ab. Stattdessen schloss er seinen Besucher in eine lange Umarmung. »Es ist schön, dich wiederzusehen, Kleiner. Und jetzt erzähl mir: Wie viele können dich identifizieren?«
Rotmaske löste sich von ihm. »Zwei.«
»Mehr nicht?«
»Nein, Dai Lo .«
»Und einer ist von deiner Mission noch übrig?«
»Ja.«
Sheung Fa nickte. »Das dachten wir uns schon. Diese drei sind Shan Chus gröÃte Sorge.« Er reichte seinem Besucher einen dünnen braunen
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