Schnupperküsse: Roman (German Edition)
Pony Leid zuzufügen.«
»Das ist keine Entschuldigung, finde ich«, sagt er. »Nach alldem, was du mir über das Wohl der Tiere erzählt hast, als wir uns das erste Mal sahen, und wie grausam es ist, Kühe zu schlagen …«
Mein Gesicht wird rot vor Wut, aber nicht auf Guy, sondern auf mich selbst. Ich brauche weder Guy noch sonst irgendjemanden, der mich daran erinnert, wie nachlässig es von mir war, nicht auf Brackens Gewicht zu achten. Ich wusste, sie war übergewichtig, doch war ich mir der Tragweite dieser Tatsache nicht bewusst. Ich nahm an, sie könnte wie wir Menschen vielleicht eines Tages Herzprobleme oder entzündete Gelenke bekommen, aber dass unmittelbare Gefahr für sie bestand, war mir nicht bewusst.
»Tut mir leid, Jennie«, fährt Guy fort, als ob er meine Gedanken lesen könnte. »Wie geht’s dir?« Er tritt einen Schritt zurück in den Schatten des Stalls und sagt leise: »Ich vermisse dich.«
»Ich dich auch«, erwidere ich sanft und gehe auf ihn zu. Seine Augen leuchten vor Verlangen, und mein Herz zieht sich sehnsuchtsvoll nach dem zusammen, was nicht sein kann, zumindest nicht vorläufig.
»Besteht vielleicht die Möglichkeit …«, fragt er mit brüchiger Stimme. Dann schüttelt er den Kopf, als ob er sich selbst Vorhaltungen macht. »Ich hätte nicht fragen sollen.«
Ich drehe mich abrupt weg und gehe wieder nach draußen, wo Adam immer noch auf dem Traktor wartet. Guy folgt mir.
»Das war’s erst mal.« Guy wischt seine Hände auf seiner Jeans ab und hinterlässt dabei schmutzige Striemen. »Hilfst du mir morgen beim Melken, Adam?«, fragt er.
»Ich dachte, ich komme auch heute Nachmittag vorbei.«
»Nein, Adam«, stelle ich klar. »Du hast noch Schulaufgaben nachzuholen.«
»Aber, Mum«, mault er.
»Du kannst nicht die Schule schwänzen und denken, damit einfach so davonzukommen. Wenn du deine Hausaufgaben für Mathe nachholst, kannst du morgen früh beim Melken helfen.« Ich schaue ihn genauso finster an wie er mich, um meinen Worten Nachdruck zu verleihen. Ich habe eingesehen, strenger mit Adam sein zu müssen und ihm klare Grenzen zu setzen, auch wenn ich es nicht mag und es für uns beide schwer ist. Für ihn ist es aber letzten Endes das Beste.
Alex kommt noch drei Mal am Wochenende bei uns vorbei, denn Bracken spricht auf die Behandlung nicht an, und die Rechnung steigt stetig. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Das Pony will sich trotz der Schmerzmittel einfach nicht in seinem Stall bewegen, und Georgia weigert sich, von ihrer Seite zu rücken. Sie besteht darauf, bei ihr zu bleiben und schläft in ihrem Schlafsack auf einem der ungeöffneten Ballen mit Streu. Am Sonntagabend bringe ich ihr eine Tasse heiße Schokolade und setze mich neben sie.
»Georgia, wir müssen miteinander reden«, beginne ich. Mehr muss ich nicht sagen. Sie wendet mir das Gesicht zu, ihre Augen funkeln im Halblicht, und ihr Mund ist zu einem dünnen Strich zusammengezogen.
»Ich werde es nicht zulassen, dass du Bracken einschläfern lässt«, entgegnet sie mir scharf.
»Georgia, mein Schatz –«
»Es ist unsere Schuld, dass sie krank ist, Mum. Und deshalb müssen wir ihr helfen, wieder gesund zu werden.«
»Ich möchte nicht, dass sie leidet.«
»Das möchte ich auch nicht«, erwidert Georgia, kippt die heiße Schokolade in das Streu, als wäre sie Gift, und drückt mir den Becher wieder in die Hand. »Und jetzt geh!«, sagt sie, steht auf, geht hinüber zu Bracken, schlingt die Arme um ihren Hals und vergräbt das Gesicht in ihrer Mähne. »Ich möchte nicht mehr weiter mit dir reden. Und bevor du weitersprichst – zur Schule morgen gehe ich auch nicht.«
»Das musst du auch nicht«, sage ich kurz angebunden. »Ihr habt Herbstferien.« Ich ziehe mich zurück. Mir brennen die Augen, denn ich sehe keinen Ausweg. Eine weitere Behandlung von Bracken kann ich mir nicht leisten, da ich durch das Backen nicht genügend Geld verdiene, um den Anwalt zu bezahlen und einen Kredit für die Tierarztkosten aufzunehmen. Egal, wie ich mich entscheide, entweder wird mir Georgia nie verzeihen, oder meine Familie wird in Armut enden.
Am nächsten Morgen erscheint um sechs Uhr dreißig eine Abordnung in meinem Schlafzimmer, bestehend aus Georgia und Sophie. Ich weiß nicht, ob die beiden eine durch Schlafmangel bedingte Schwäche meinerseits ausnutzen wollen. Sophie hat ihren Schlafanzug an, während Georgia das Oberteil und ihre Jeans vom Vortag trägt.
Ich reibe mir die Augen und setze mich auf.
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