Schnupperküsse: Roman (German Edition)
»Wenn ihr mir verloren geht, glaube ich nicht, dass ich euch wiederfinden werde.«
Sophie greift mit ihrer behandschuhten Hand nach meiner und drückt sie.
Mittlerweile wünsche ich mir schon fast, nicht gekommen zu sein, doch bald kommt der Abend in Schwung, und ich kann nicht glauben, was ich sehe. Eine Traube von Menschen drängt rufend und jubelnd aus einer der Seitenstraßen auf den Marktplatz. Es riecht nach brennendem Teer, Bier und Burgern. Wenn ich auf den Zehenspitzen stehe, kann ich gerade so Rauch und flackernde, orangefarbene Flammen ausmachen, die anscheinend vom Rücken eines Mannes nach oben steigen. Als die Menge sich bewegt und uns nach hinten zwingt, erkenne ich, dass dieser Mann – ein junger Mann – ein brennendes Teerfass auf seinen Schultern trägt.
»Guy sagte mir, er wäre Fassroller«, sage ich und stoße Adam an. »Muss er auch so eins tragen?«
»Oh ja«, erwidert mir Adam. »Früher wurden die Fässer gerollt, aber irgendwann kam jemand auf die Idee, sie zu tragen, weil es witziger wäre. Das machen sie schon seit Jahren so.«
Ich bin mir nicht sicher, ob ich mir das anschauen kann.
»Wann trägt Guy sein Fass?«
»Um zehn Uhr«, antwortet Adam.
»Das dauert ja noch ewig!«, wendet Georgia ein.
»Ich weiß. Lasst uns hinunter zum Fluss gehen. Dann können wir uns das Feuer ansehen. Und vielleicht bekommen wir dort auch was zu essen.«
Unter dem sternenklaren, nächtlichen Himmel stehen wir auf dem Anger und schauen dem Feuerwerk zu. Raketen werden nacheinander in die Luft geschossen und explodieren mit einem Knall. Funken sprühen auf, ergießen sich am Himmel und verglühen langsam – vielleicht ein Sinnbild für meine Beziehung zu Guy.
Später kehren wir wieder zum Marktplatz zurück, kämpfen uns durch die Menschenmassen und ergattern am Schluss einen besseren Platz als vorher, um das nächste Fass vorbeiziehen zu sehen.
»Ich komme mir vor wie beim Weihnachtseinkauf auf der Oxford Street«, bemerke ich. »Ziemlich aufregend, aber auch ganz schön anstrengend. Und bestimmt nichts, was ich bald wiederholen möchte.«
»Da ist Guy!«, ruft Adam, als eine weitere Traube an Menschen auf den Platz strömt. Er geht gebückt unter der Last des brennenden Fasses, das, wie mir auffällt, als er sich uns nähert, innen mit Sackleinen ausgelegt ist.
»Guy!«, rufe ich, und er schaut in unsere Richtung und verzieht das Gesicht. Ich kann die Sehnen an seinem Hals erkennen, die vor Anstrengung hervorgetreten sind. Er ist voller Schweiß und Ruß, und als er an uns vorbeizieht, sehe ich Löcher in seinem Hemd von der herabfallenden Glut.
Ich hatte gehofft, ihn danach einzuholen und vielleicht mit ihm zusammen nach Hause zu gehen, doch wir verlieren ihn ziemlich schnell aus den Augen.
»Er wird wohl in den Pub gegangen sein, um etwas zu trinken«, sagt Adam, als könnte er meine Gedanken lesen.
»Hast du jemanden gesehen, den du kennst?«, frage ich.
»Ich glaube, ich habe Will und Jack von der Schule gesehen.«
»Ich habe auch eine meiner Freundinnen gesehen«, wirft Sophie ein. »Ihr Daddy trug sie auf den Schultern. Ich wünschte mir, mein Daddy wäre auch hier. Ich vermisse ihn sooo sehr!«
»Aber du hättest doch das Wochenende bei ihm verbringen können, doch du wolltest lieber auf die Party gehen.«
»Nein, ich habe gesagt, ich könnte mich nicht entscheiden, und dann hast du mich zu dieser Party gedrängt.«
»Das habe ich nicht!«, protestiere ich, aber Sophie ist müde und überdreht.
»Hast du wohl«, jammert sie, »und ich finde es Daddy gegenüber nicht fair, denn jetzt wird er mich erst nächstes Wochenende sehen.«
»Das ist zwar schade, aber wir haben uns nun mal so entschieden, beziehungsweise es war dein Wunsch, Sophie!«, wende ich ein und komme mir nicht geschätzt vor – ein Gefühl, mit dem ich als alleinerziehende Mutter habe lernen müssen umzugehen. »Lasst uns nach Hause gehen.«
Zurück in Jennie’s Folly ist von Lucky weit und breit nichts zu sehen. Adam findet ihn schließlich, zitternd vor Angst, unter seinem Bett.
»Er hat gebrochen.«
»Na klasse, das fehlt uns gerade noch. Was hat er?«
»Ich denke, er hatte Angst vor dem Feuerwerk.«
»Toll.« Ich mache alles sauber und lege mich dann hin, doch ich kann nicht schlafen … Auch Lucky ist unruhig und wandert den Flur vor unseren Schlafzimmern auf und ab, dabei winselt er ab und zu. Adams Handy bimmelt mitten in der Nacht – ich erkenne es am Klingelton – und dann höre ich Stimmen
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