Schnupperküsse: Roman (German Edition)
begleite ihn durch den kleinen Vorraum zur Diele.
»Danke, dass Sie vorbeigekommen sind«, sage ich, als er in der Haustür steht und zögert, mir die Hand zu geben. Ich kann den Pulsschlag in meinem Kopf hören. Interpretiere ich in diese Situation vielleicht zu viel hinein? Ist er …?
»Vielen Dank für den Wein und Ihre Gesellschaft, Jennie.«
Ich neige mein Gesicht vor zu Guy, nur ganz leicht, doch er reagiert darauf, beugt sich zu mir, berührt meine Lippen und murmelt anschließend: »Gute Nacht.« Dann verschwindet er in der Dunkelheit, als würde er davonlaufen.
Was hat das jetzt zu bedeuten? Wie soll ich mich fühlen? Geschmeichelt? Überglücklich? Guy hat es geschafft, mich beschwingt und mehr als nur ein bisschen verwirrt zurückzulassen.
7
Zitronenkuchen
Es ist Sonntagmorgen, und die Kinder sind immer noch bei David. Ich frühstücke zusammen mit Lucky – wir essen beide Toast mit Honig – und frage mich, was sie gerade machen. Guy geht am Haus vorbei – er bringt die Kühe nach dem Melken wieder hinaus aufs Feld. Er hebt seinen Stock und winkt mir zu. Ich berühre meine Lippen, die er gestern Abend geküsst hat, winke zurück und schaue, wie er die Auffahrt hinuntergeht. Dann sehe ich, wie er wieder zurückkehrt, und zirka eine Stunde später mit seinem Land Rover wegfährt.
Ich bin nicht neugierig, sondern habe lediglich von der Küche aus eine sehr gute Aussicht auf unsere gemeinsame Auffahrt. Außerdem bellt Lucky, sobald sich etwas bewegt.
Wo führen ihn seine Ausflüge hin? Zu seiner Mutter? Zu einer Freundin? Als Sophie ihn danach fragte, antwortete er ihr nicht, doch kann ich mir kaum vorstellen, dass er in keiner Beziehung ist. Dass seine Frau mit seinem Bruder durchgebrannt ist, nimmt ihn offensichtlich immer noch sehr mit, allerdings liegt das schon eine ganze Weile zurück, und eins weiß ich, die Zeit heilt Wunden. Gestern Abend hat er mich geküsst, der Kuss war eindeutig gewollt gewesen, denn danach lief er fast weg, als ob ihm plötzlich klar geworden wäre, was er getan hat. Hatte er aus einem Impuls heraus gehandelt, den er sofort bedauerte, weil er mit einer anderen ausgeht?
Ich nutze die Zeit, um ein Cottage Pie zu machen, ich koche also Rinderhackfleisch und überbacke es mit Kartoffelbrei und backe anschließend einen Zitronenkuchen. Wenn Adam und die Mädchen nach Hause kommen, werden sie Hunger haben. Ich gebe die Zutaten für einen Biskuitteig in die Schüssel, verrühre sie, füge duftende Zitronenschale hinzu, fülle den Teig in eine Kastenform und stecke sie in den AGA .
Lucky hört den Land Rover noch vor mir zurückkommen, doch anstatt vorbeizufahren, hält er vorm Haus. Guy steigt aus. Er trägt eine schicke Hose, braune Halbschuhe, ein weißes T-Shirt und darüber einen blassblauen Pullover mit V-Ausschnitt. Er geht zum Küchenfenster und klopft dagegen, und ich öffne es, dabei frage ich mich sehnsüchtig, ob er mich noch einmal küssen wird, diesmal aber richtig. Doch ich werde enttäuscht – zumal ich selbst viel zu schüchtern bin, um an der Situation etwas zu ändern, besonders bei hellem Tageslicht und ohne ein Glas Rotwein, das einem Mut macht.
»Jennie«, sagt er, ohne im Geringsten verlegen zu sein oder auf unser Gespräch von gestern Abend einzugehen. »Ich habe dir die Hühner besorgt.« Er klingt aufgeregt, so wie Adam, als wir den Hund abholten, und mir fällt auf, dass er das vertraulichere Du anschlägt.
»Heute? Aber wir haben doch Sonntag.«
»Ich habe sie von Ruthie, einer Freundin. Sie hat wie ich einen Hof und arbeitet sieben Tage die Woche, weshalb sie sich immer freut, wenn ich vorbeikomme, egal wann.«
»Ach so.« Ich spüre einen Stich in meiner Brust und verstehe nicht, warum ich eifersüchtig bin. Guy hat Freunde, na und? Immerhin hatte er ein Leben, bevor ich auf der Bildfläche erschien. Ich weiß, ich sollte das Ganze nicht zu sehr durchleuchten, aber vielleicht ist er ja gar nicht der einsame, von der Liebe enttäuschte Bauer, für den ich ihn bisher gehalten habe. Ich hatte sogar Mitleid mit ihm, was anscheinend gar nicht nötig ist. Immerhin stammt er aus Talyton St. George und ist daher schon seit langem mit der Gemeinschaft hier verbunden.
»Vielen Dank für deine Mühe, das ist wirklich sehr nett von dir«, fahre ich fort und schäme mich, in Guys Vertrauen, das er mir gestern Abend bei einem Glas Wein entgegenbrachte, zu viel hineinzuinterpretieren. Ich beschließe, meine Phantasien zukünftig zu unterdrücken –
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