Schnupperküsse: Roman (German Edition)
er ist ein gut aussehender Kerl, und ich fühle mich, trotz Familie und Freunden, manchmal allein hier, was dennoch kein triftiger Grund ist, eine ernste oder anders geartete Beziehung einzugehen.
»Ich fuhr quasi an ihrer Haustür vorbei, schaute einfach kurz bei ihr hinein und nahm die Hühner mit«, sagt er. »Wo soll ich sie hinbringen?«
»Ich habe noch keinen Hühnerstall. Wo können wir sie sonst unterbringen?« Ich wische mir meine Hände an einem Geschirrtuch ab. »Ich wollte mir einen dieser Hühnerställe aus Plastik bestellen, die ich bei Overdown Farmers gesehen habe, von denen mir der hellgrüne am besten gefiel.«
»Da werden die Hühner aber viele Eier legen müssen, damit sich dieser Hühnerstall bezahlt macht. Jennie, das sind nur Hühner – die brauchen keine Fünf-Sterne-Unterkunft, sondern lediglich eine Bleibe, die sie vor Charlie schützt.
»Charlie?«
»Den Fuchs.«
»Gibt es viele von denen hier? Da, wo wir früher wohnten, gab es viele – sie schienen von den Fast-Food-Resten prächtig zu gedeihen.« Und von Hühnern, schießt es mir durch den Kopf, als mir das Schicksal von Summers Federvieh wieder einfällt.
»Der seltsame Kauz versucht hier und da sein Glück«, klärt mich Guy auf.
»Oh Gott, jetzt werde ich mir die ganze Zeit Sorgen um die Hühner machen.«
»So ist das nun mal mit Tieren.« Er lächelt. »Es hört nie auf. Mach’s so wie ich mit meinen Hühnern – sperr sie abends in einen der Ställe und lass sie tagsüber raus! Geh doch schon mal voraus und öffne mir das Tor, ich bringe sie dann in den Hof.«
Ich schließe Lucky im Haus ein, da ich mir nicht sicher bin, ob er auf die Hühner losgeht oder nicht, gehe hinten über den Hof, wo das Unkraut, das wir herausgezupft haben, schon wieder durch die Ziegel und das Kopfsteinpflaster wächst, und öffne das Tor. Guy fährt herein, parkt den Land Rover rückwärts vor einem der Ställe, springt aus dem Auto und öffnet schwungvoll die Heckklappe.
»Hier sind sie«, verkündet er, und ich erblicke zwei Lattenkisten mit gefiederten Bewohnern. »Zehn Damen, bereit zum Eierlegen.«
»Sie sehen etwas …«, ich versuche, nicht zu undankbar zu klingen, »zerrupft aus.«
»Ach so, das ist, weil sie aus einer Legebatterie stammen und achtzehn Monate in Käfigen eingesperrt waren. Ruthie setzt sich für artgerechte Hühnerhaltung ein und rettet solche Tiere. Mach dir keine Sorgen, sie werden sich bald erholen und noch ein paar Jahre Eier legen.«
Guy hebt die Kisten aus dem Auto, trägt sie zusammen in den Stall und stellt sie auf den Boden, der mit altem Stroh ausgelegt ist. Er schließt den unteren Teil der Stalltür, hebt den Deckel der ersten Kiste hoch und nimmt eins der Hühner heraus.
»Das ist ziemlich dünn«, sagt er und taxiert sie. »Meiner Meinung nach eine Größe null. Was glaubst du?«, fügt er hinzu und gibt es mir.
»Oh«, antworte ich und trete einen Schritt zurück. »Ich weiß nicht … Ich dachte nicht, ich müsste es in die Hand nehmen.«
»Halt die Flügel fest, damit es mit ihnen nicht schlagen kann und sich aufregt«, weist Guy mich an, und seine Hand streift meine, als er sie mir gibt.
»Ich bin hier diejenige, die aufgeregt ist«, erwidere ich. Ich entspanne mich und lächle, während das Huhn sich beruhigt. »Es ist so leicht. Und fühlt sich so warm an. Und hat fast alle Federn verloren, das arme Ding.« Die übrig gebliebenen Federn sind hellbraun, hier und da auch cremefarben. Seine Haut ist blass, rau und picklig. Außerdem hat es einen roten, gummiartigen Kamm auf dem Kopf und Kehllappen unter dem Schnabel. Es schaut mich misstrauisch mit einem Auge an, einem runden, orangefarbenen. »Was ist das, das da immer über seinem Auge flattert?«, frage ich.
»Sein drittes Augenlid, Hühner haben so etwas. Es blinzelt.« Guy lächelt wieder. »Es blinzelt auch vor Freude, ein so luxuriöses Zuhause gefunden zu haben wie dieses hier. Lass es auf den Boden.«
Ich setze das Huhn vorsichtig auf dem Boden ab und lasse es gehen.
»Sieh nur, was es macht«, fährt er fort. »Denk daran, es hat sein ganzes Leben bisher nur auf Drahtgittern gestanden und seinen Käfig mit anderen Hühnern geteilt. Es hat, bevor es zu Ruthie kam, noch nie Stroh oder Tageslicht gesehen.«
»Das arme Ding …«
Das Huhn steht für zirka eine Minute mit gekrümmtem Rücken da, bevor es sich schüttelt, seine mitleiderregenden, kahlen Flügel streckt und zu dem Licht hüpft, das durch die geöffnete obere Hälfte
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