Schnupperküsse: Roman (German Edition)
lächelt.
»Möchtest du nicht hereinkommen?«, frage ich, als er zögernd auf der Stufe stehen bleibt.
»Meine Stiefel«, erklärt er entschuldigend. Mein Blick wandert über sein offenes, kariertes Hemd und die hellbraune, leicht verknitterte Kakihose hinunter zu seinen matschigen Stiefeln, Größe 47 oder 48 … und ich hoffe, Summer wird sich zu keiner taktlosen Äußerung hinreißen lassen, was im Bezug auf die Größe der Füße eines Mannes allgemein behauptet wird.
»Lass sie hier in der Diele stehen und komm durch in die Küche.«
Alle Blicke ruhen auf Guy, als er den Raum betritt, doch wenn es ihm aufgefallen sein sollte, geht er souverän damit um. Ich stelle ihn vor. Bevor er Paul und Hugo mit Handschlag begrüßt, wirft er Summer und Karen sein typisches schüchternes Lächeln zu.
»Schampus oder Apfelwein?«, fragt Hugo und äfft dabei den Akzent von Devon nach.
»Ein kleines Glas Apfelwein, bitte«, erwidert Guy, und Hugo schaut ihn mit einem höhnischen Zug um seinen Mund an.
»Ach, kommen Sie! Seien Sie kein Spaßverderber!«
»Ich muss um fünf aufstehen.«
»Auch sonntags?«, fragt Karen und hebt eine Augenbraue.
»Jeden Tag«, antwortet Guy.
»Meine Güte«, sagt Hugo. »Trotzdem, du arbeitest doch auch eigenartige Schichten, Paul?«
»Ja, aber nicht rund um die Woche.«
»Paul ist Geschäftsführer eines Supermarkts«, erkläre ich und erinnere mich in dem Moment an Guys Einstellung zu Supermärkten und ihren Einfluss auf den Milchpreis. Guy übergeht Hugos Bemerkung und plaudert bald mit Paul.
»Wollen wir nicht nach draußen gehen?«, schlage ich vor. »So können wir ein Auge auf die fröhlichen Camper werfen – zumindest auf die jüngeren.«
»Und wann sollen wir streichen?«, fragt Paul.
»Morgen«, erwidert Summer, schon leicht angesäuselt.
»Da muss ich leider passen«, verkündet Karen. »Meine Allergie – ich vertrage den Geruch von Farbe nicht.«
Das nehme ich ihr nicht ab. Die einzige Allergie, die sie besitzt, betrifft körperliche Aktivitäten, denke ich, und lächle in mich hinein.
Wir gehen nach draußen und holen uns die Liegestühle und Gartenmöbel zurück, die sich Chris und die Mädchen vom Rasen hinterm Haus genommen hatten, um ihr Campinggefühl zu unterstreichen. Wir setzen uns hin und schauen zu, wie die Abenddämmerung heraufzieht und die Solarlichterkette über einem der Äpfelbäume aufleuchtet. Die Luft ist frisch und von dem würzigen Geruch der Kühe durchdrungen. Außer dem Geräusch eines Grashüpfers, der irgendwo am Rand der Koppel sitzt, ist nichts zu hören. Nur Hugo, der seinen Stuhl zu nahe neben meinen gerückt hat und mich mit seinem Bein an der Wade berührt, stört mich.
»Hast du inzwischen schon viele Freunde hier?«, fragt mich Karen und klingt dabei so, als stünden wir beide in einem Wettbewerb.
»Freunde wäre zu viel gesagt, außer Guy natürlich«, erwidere ich und schaue zu ihm herüber.
»Ich meine Freundinnen, Männer zählen nicht –«, sagt Karen und wird leiser –, »da spielt unterschwellig immer der Sex eine Rolle.«
»Findest du?«, sage ich locker. »Ich habe ein paar Leute aus Talyton kennengelernt – sie sind zwar freundlich, aber als Freunde könnte ich sie nicht bezeichnen, noch nicht.«
»Jennie ist doch erst seit ein paar Wochen hier«, bemerkt Summer und rettet mich aus einer gewissen Verlegenheit. »Ich denke, du wirst mehr Leute kennenlernen, wenn die Kinder in die Schule gehen.«
»Ich fühle mich nicht allein. Und ich bin auch nicht einsam.« Ich rutsche mit meinem Fuß von Hugos Segeltuchschuh weg, der auf Tuchfühlung mit meinen Flipflops geht. »Ich sehe hin und wieder Guy, und in der Stadt bin ich auch schon ein paarmal gewesen und habe mit Leuten wegen meines Geschäfts gesprochen.«
»Wie viele Kuchen hast du denn inzwischen verkauft?«, fragt mich meine Schwester.
»Noch nicht viele.«
»Und wie viele genau?«, hakt Hugo nach.
»Zwei.«
Hugo kichert. »Was beweist, das Frau nicht nur vom Kuchen allein leben kann. Ich kann einen Blick auf deinen Businessplan werfen, wenn du willst.« Er greift nach meiner Hand und drückt sie.
»Hugo, versuchst du gerade, dich ums Anstreichen zu drücken?«, fragt Summer.
»Ich schlage lediglich vor, meine Fähigkeiten vielleicht besser einsetzen zu können. Geschäft ist Geschäft. Da ist es egal, um welche Ware es sich handelt, ob Kuchen oder etwas anderes.«
»Apropos Kuchen«, werfe ich ein und stehe auf, »möchte jemand noch ein Stück?«
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