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Schock

Titel: Schock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter Evan
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sich, er roch Blut, seine Hände umkrampften den Schlagstock. Die Absurdität der Situation hätte Buddwing zum Lächeln veranlassen können, doch er wußte: selbst die kleinste Spur von Humor hätte ihn erledigt. Der Hinweis auf die Studentinnen und das damit beschworene Bild tweedgekleideter Jungfräulichkeit in flachen Schuhen brachte die Leute, die Buddwing und den Polizisten umstanden, spürbar in Bewegung. Buddwing hörte das Wispern der Zuschauer und war versucht, ihnen zu erzählen, daß er noch am Morgen mit einer Studentin im Bett gewesen war; und was dann? Wie hätte der fette Ordnungshüter und Freund und Helfer dann dagestanden, was?
    So ehrbar er konnte, sagte er: »Ich habe keineswegs den Studentinnen nachgestarrt, Officer: übrigens glaube ich auch nicht, daß das gesetzwidrig wäre, oder?«
    »Ist es auch nicht«, sagte der Polizist gelassen. »Zeigen Sie Ihren Ausweis.«
    »Wie gesagt, ich bin kein Vagabund.«
    »Vom Vagabundieren scheinen Sie eine Menge zu wissen.«
    Buddwing lächelte den Polizisten an; in seinem Hirn nahm der Gedanke an Flucht in Form eines blinkenden Broadway-Signals sichtbare Formen an: FORT, fort, FORT, fort, FORT! Er hörte sich den Beamten fragen, ob es denn lohne, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen, und was derlei hinhaltender Unsinn mehr war, während das Signal in seinem Hirn unablässig weiterblinkte. Lächelnd, redend, die Entscheidung hinauszögernd, faßte er vorsichtig einen heroischen Plan: er würde den Polizisten in die Hoden treten, dann dem Negersänger die Gitarre entreißen und sie dem Polizisten über den Kopf schlagen. Dann würde er über die Bank springen und sich im Straßengewirr von Greenwich Village verlieren. »Schließlich ist es nichts Ungewöhnliches, Officer, wenn ein ordentlicher Bürger auf einer Parkbank in der Sonne sitzt, meinen Sie nicht auch?«
    »Genau«, sagte der Polizist. »Zeigen Sie Ihren Ausweis.«
    Er war drauf und dran, das Knie zu einem kraftvollen, hodenzerreißenden Kolbenstoß zu heben, als einer der Schachspieler, ein alter, weißhaariger Mann mit dünnen Fingern, sagte: »Er hat wirklich nur in der Sonne gesessen, Officer.«
    »Sie sind nicht gefragt«, sagte der Polizist.
    »Ich sage nur, was ich gesehen habe.«
    »Was Sie gesehen haben, interessiert hier nicht«, sagte der Polizist.
    »Ich kann seine Aussage bezeugen«, sagte der andere Schachspieler, ein kleiner, kahlköpfiger Mann in einer viel zu großen fahlblauen Strickjacke.
    »Dies ist kein Strafprozess«, sagte der Polizist. »Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Sachen.«
    »Ich denke, wir leben in einem freien Land«, sagte eines der Mädchen mit dem verschleierten Blick.
    »Wer hat Sie gefragt«, sagte der Polizist.
    »Und was kommt als Nächstes?« fragte der Negersänger. »Werden Sie uns das Singen hier im Park verbieten?« Die Frage riß alte Wunden auf und veranlasste den Polizisten, den Sänger misslaunig zu mustern.
    »Sieh da, die Stimme aus dem Hintergrund«, sagte der Polizist. »Warum geht ihr nicht alle nach Hause und kümmert euch um eure eigenen Sachen?«
    Der Neger fühlte sich durchaus nicht veranlasst, nach Hause zu gehen und sich um seine eigenen Sachen zu kümmern; vor Monaten hatte er zu den protestierenden Volkssängern gehört und hielt die Bürgerrechte für seine ureigenste Angelegenheit; außerdem hegte er keinerlei Vorliebe für verwaschene Redensarten. Und endlich schätzte er die Weißen nicht besonders, obwohl er mit einem rothaarigen weißen Mädchen in der Delancey Street zusammenlebte – mit weißen Männern war es eben etwas anderes. Die Mädchen mit den verschleierten Augen und die Jungen in Blue Jeans drängte es gleichfalls nicht, nach Hause zu gehen und sich um ihre eigenen Sachen zu kümmern; die einzige Sache, um die sie sich kümmern konnten, war der Schutz des Künstlers in einer freien Gesellschaft – deshalb umdrängten sie hilfsbereit den Neger; schließlich war er ein Künstler und obendrein farbig. Aus ihrem Kreis erklang eine Stimme: »Wollen Sie sich nicht lieber um den Verkehr kümmern, Officer?« Andere schlossen sich mit bissigen Sticheleien an – »Verhaften Sie doch meine Alte, sie vertreibt Koks« und »Was ist eigentlich los? Kommen die Schmiergelder heute zu langsam ein?« Die misslaunige Miene des Polizisten wechselte zur Gottergebenheit eines leidenden Märtyrers. Vor seinem inneren Auge erstand plötzlich das Bild eines offenen Aufruhrs in seinem Revier, das nicht mehr lange sein Revier bleiben

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