Schockwelle
den Ersten Offizier unsicher an. »Scheint fast so, als hätten sich die Wale endlich gerächt, nachdem sie zweihundert Jahre lang abgeschlachtet wurden.«
26
Pitt saß seit fast zwei Monaten wieder am Schreibtisch in seinem Büro, starrte vor sich hin und spielte mit dem Sea-Hawk-Tauchermesser herum, das er als Brieföffner benutzte. Wortlos wartete er auf eine Antwort von Admiral Sandecker, der ihm gegenübersaß.
Er war an diesem Morgen, einem Sonntag, in aller Frühe in Washington eingetroffen und sofort zur verlassenen NUMA-Zentrale gefahren, wo er die nächsten sechs Stunden lang einen Bericht verfaßt hatte, in dem er ausführlich schilderte, was er auf Kunghit Island entdeckt hatte, und einige Vorschläge einbrachte, wie man diesem akustischen Phänomen begegnen könne. Der Text las sich enttäuschend nüchtern, wenn man bedachte, welchen Entbehrungen und Gefahren er in den letzten paar Tagen ausgesetzt war. Jetzt konnten sich seiner Meinung nach andere, qualifiziertere Männer mit dem Problem befassen und zusehen, daß sie zu einer vernünftigen Lösung kamen.
Er drehte seinen Stuhl herum, blickte durchs Fenster hinaus auf den Potomac und hatte wieder Maeve vor Augen, ihre furchtsam verzweifelte Miene, als sie auf dem Deck der
Ice Hunter
gestanden hatte. Er war wütend auf sich, weil er sie im Stich gelassen hatte. Er war überzeugt davon, daß Deirdre ihr an Bord der
Ice Hunter
eröffnet hatte, ihr Vater habe ihre Kinder entführt; Maeve hatte sich an den einzigen Mann wenden wollen, dem sie trauen konnte, und er hatte nicht erkannt, wie verzweifelt sie gewesen war. Davon allerdings hatte Pitt in seinem Bericht nichts erwähnt.
Sandecker schlug den Aktenordner zu und legte ihn auf Pitts Schreibtisch ab. »Ein bemerkenswertes Stück Arbeit. Ein Wunder, daß Sie nicht umgekommen sind.«
»Ich hatte ein paar hervorragende Helfer«, sagte Pitt ernst.
»Sie haben alles getan, was Sie in dieser Sache tun konnten.
Hiermit befehle ich, daß Sie und Giordino zehn Tage Urlaub nehmen. Gehen Sie nach Hause und basteln Sie an Ihren Oldtimern.«
»Hab ich nichts dagegen einzuwenden«, sagte Pitt und massierte die Blutergüsse an seinen Oberarmen.
»Sie sind mit knapper Not davongekommen. Dorsett und seine Töchter sind demnach ziemlich harte Nüsse.«
»Mit Ausnahme von Maeve«, sagte Pitt leise. »Sie ist die Außenseiterin.«
»Ich glaube, sie ist derzeit in unserer biologischen Abteilung, arbeitet mit Roy Van Fleet zusammen.«
»Ja, ich weiß. Sie untersuchen die Auswirkungen der Ultraschallwellen auf die Meeresfauna.«
Sandecker schaute Pitt prüfend an, musterte jede Falte in dem wettergegerbten, aber noch immer jungenhaft wirkenden Gesicht. »Können wir ihr trauen? Möglicherweise gibt sie unsere Erkenntnisse an ihren Vater weiter.«
Pitt schaute ihn mit treuherzigem Blick an. »Maeve hat nichts mit ihren Schwestern gemein.«
Sandecker merkte, daß Pitt keine Lust hatte, über Maeve zu sprechen, und wechselte das Thema. »Apropos Schwestern. Hat Boudicca Ihnen gegenüber irgendeine Andeutung gemacht, weshalb ihr Vater seine Förderstätten in ein paar Wochen stillzulegen gedenkt?«
»Nicht die geringste.«
Versonnen rollte Sandecker eine Zigarre zwischen den Fingern. »Da sich keins der Dorsettschen Bergwerke auf dem Boden der USA befindet, können wir keine Sofortmaßnahmen ergreifen, um weitere Todesfälle zu verhindern.«
»Legen Sie eine der vier Minen still«, sagte Pitt. »Damit nehmen sie den Schallwellen die tödliche Wirkung.«
»Wir haben keinerlei Handhabe. Es sei denn, wir schicken eine Staffel B-1-Bomber los, und darauf läßt sich der Präsident nicht ein.«
»Es muß doch international gültige Gesetzte für Mord auf hoher See geben«, sagte Pitt.
Sandecker schüttelte den Kopf. »Keine, die man in diesem Fall anwenden könnte. Dorsett profitiert davon, daß es keine internationale Polizeitruppe und Gerichtsbarkeit gibt. Gladiator Island ist reiner Familienbesitz, und es dürfte mindestens ein Jahr dauern, bis wir die Russen dazu überredet haben, die Mine vor der sibirischen Küste stillzulegen. Solange Dorsett hohe Regierungsbeamte schmiert, bleiben seine Minen in Betrieb.«
»Dann hätten wir noch die Kanadier«, sagte Pitt. »Wenn man die Mounties gewähren ließe, würden sie die Mine schon morgen stillegen, weil Dorsett illegale Immigranten als Sklavenarbeiter einsetzt.«
»Und warum machen sie dann keine Razzia in der Mine?«
Pitt mußte an Inspektor Stokes’ Aussage
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