Schockwelle
anderen Tür, trat sie auf und schaltete das Licht an.
Eine wunderschöne Asiatin, allenfalls achtzehn Jahre alt, mit langen, seidig schwarzen Haaren, die über die Bettkante bis auf den Boden fielen, starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die Gestalt, die mit angeschlagenem Sturmgewehr in der Tür stand.
Sie öffnete den Mund, als wollte sie aufschreien, brachte aber nur ein dumpfes Gurgeln hervor.
Der Mann neben ihr mimte den ganz Coolen. Er lag auf der Seite, hatte die Augen geschlossen und machte keinerlei Anstalten, sich zu Pitt umzudrehen. Wenn er sich nicht gar so gleichgültig gegeben hätte, wäre Pitt vielleicht die kurze Bewegung entgangen. Locker legte er den Finger an den Abzug und jagte zwei Kugeln ins Kissen.
Die Schüsse aus der mit Schalldämpfer versehenen Waffe waren nicht lauter als ein Händeklatschen. Erst jetzt fuhr der Mann hoch und starrte auf das blutende Einschußloch in seinem Handteller.
In diesem Augenblick schrie auch das Mädchen los, doch keiner der beiden Männer scherte sich darum. Sie warteten geduldig, bis sie verstummte.
»Guten Morgen, Chef«, sagte Pitt fröhlich. »Tut mit leid, wenn wir ungelegen kommen.«
John Merchant blinzelte ins Licht und richtete den Blick auf den Eindringling. »Meine Wachen haben die Schreie sicher gehört und werden binnen kürzester Zeit hiersein«, sagte er ruhig.
»Das bezweifle ich. Da ich Sie kenne, würde ich meinen, daß spitze Frauenschreie, die nächtens aus Ihrer Unterkunft dringen, für Ihre Nachbarn etwas Alltägliches sind.«
»Wer sind Sie? Was wollen Sie?«
»Wie schnell man doch vergessen kann.«
Merchant kniff die Augen zusammen und riß dann den Mund auf, als er die Gestalt erkannte. Er wirkte entsetzt und ungläubig zugleich. »Das kann nicht sein… Sie sind nicht… Dirk Pitt!«
Wie auf ein Stichwort kamen Maeve und Giordino ins Zimmer. Sie stellten sich hinter Pitt, sagten kein Wort und blickten zu dem Paar auf dem Bett, als ob sie sich ein Theaterstück ansähen.
»Das muß ein Alptraum sein«, japste Merchant.
»Bluten Sie etwa im Traum?« sagte Pitt, griff unter Merchants Kissen, holte die Neunmillimeterautomatik hervor, zu der der Sicherheitschef hatte greifen wollen, und warf sie Giordino zu.
Er dachte, der widerliche Kerl hätte kapiert und sich mit der Lage abgefunden, aber Merchant war viel zu verstört. Er meinte die Geister dreier längst Verstorbener zu sehen.
»Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie ihr kurz vor dem Sturm ausgesetzt worden seid«, murmelte er dumpf und tonlos.
»Wie kann das sein? Wie habt ihr überlebt?«
»Wir sind von einem Wal verschluckt worden«, sagte Giordino und zog die Vorhänge zu. »Der hat sich an uns den Magen verrenkt, und was danach passiert ist, kannst du dir ja denken.«
»Ihr müßt wahnsinnig sein. Legt die Waffen nieder. Ihr kommt niemals lebend von der Insel weg.«
Pitt drückte Merchant die Mündung des Sturmgewehrs an die Stirn. »Ruhe jetzt. Von Ihnen will ich nur noch eins hören. Wo sind Ms. Fletchers Söhne?«
Merchants Augen funkelten trotzig auf. »Ihnen werde ich überhaupt nichts verraten.«
»Dann bring’ ich Sie eben um«, sagte Pitt kalt.
»Welch merkwürdige Töne aus dem Mund eines Ozeanographen und Ingenieurs für Meerestechnologie, der Frauen und Kinder förmlich anbetet und der ob seiner Unbescholtenheit und aufrechten Haltung überall geachtet und geehrt wird.«
»Bravo, Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht.«
»Sie werden mich nicht umbringen«, sagte Merchant, der seine Gefühle allmählich wieder in den Griff bekam. »Sie sind kein Profikiller, Sie haben nicht dem Mumm zu einem Mord.«
Pitt zuckte lässig die Achseln. »Ich wage zu behaupten, daß Ihnen der Wachmann, den ich vor etwa einer halben Stunde von der Klippe geworfen habe, da widersprechen würde.«
Merchant schaute Pitt ungerührt an, nicht sicher, ob er ihm glauben sollte. »Ich weiß nicht, was Mr. Dorsett mit seinen Enkeln gemacht hat.«
Pitt senkte das Gewehr und hielt es an eins von Merchants Knien. »Maeve, zähl bis drei.«
»Eins«, fing sie an, und sie wirkte so gefaßt, als zählte sie Zuckerwürfel in eine Teetasse ab. »Zwei… drei.«
Pitt drückte ab und jagte eine Kugel durch Merchants Kniescheibe. Merchants Geliebte bekam einen weiteren Schreikrampf, worauf Giordino ihr kurzerhand den Mund zuhielt. »Bitte etwas leiser! Sonst fällt noch der Putz von den Wänden.«
Merchants Haltung änderte sich schlagartig. Der widerwärtige kleine Mann wirkte
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