Schockwelle
egal, wie hoch die Wellen gingen oder wie stark der Wind blies, wenn er zu einem in Seenot geratenen Schiff gerufen wurde. Im Lauf der nächsten fünfzehn Jahre hatte er sich durch seine kühnen Rettungsmanöver, bei denen er zahllosen Fischerbooten, sechs Küstenfrachtern, zwei Öltankern und einem Zerstörer der US-Marine zu Hilfe eilte, einen geradezu legendären Ruf erworben, was schließlich dazu führte, daß man ihm zu Ehren im Hafen von Seward eine Bronzestatue aufstellte – für ihn eine Peinlichkeit sondergleichen. Als das Hochseebergungsunternehmen, bei dem er arbeitete, tief in die roten Zahlen geriet und ihm der vorzeitige Ruhestand drohte, hatte er ein Angebot von Admiral James Sandecker angenommen, dem Direktor der NUMA, der ihm das Kommando über die
Ice Hunter
antrug, das eigens für Polarexpeditionen ausgerüstete Forschungsschiff der Behörde.
Dempsey, in dessen Mundwinkel eine angeknabberte Bruyerepfeife klemmte, sein Markenzeichen, war der typische Schlepperkapitän – breitschultrig, stämmige Taille, aus alter Gewohnheit breitbeinig aufgepflanzt. Dennoch wirkte er distinguiert. Mit seinen grauen Haaren und dem glattrasierten Gesicht hätte man Dempsey, der großartiges Seemannsgarn spinnen konnte, durchaus für den leutseligen und liebenswürdigen Kapitän eines Kreuzfahrtschiffes halten können.
Er trat einen Schritt vor, sobald das Fahrwerk des Hubschraubers auf Deck aufsetzte. Neben ihm stand der Schiffsarzt, Dr. Mose Greenberg. Er war groß und schlank und hatte die dunkelbraunen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Seine blaugrünen Auge n funkelten, und er strahlte eine gewisse, schwer zu benennende Vertrauenswürdigkeit aus, die allen guten und tüchtigen Ärzten auf der Welt zu eigen ist.
Dr. Greenberg und vier Besatzungsmitglieder, die Tragbahren dabei hatten, falls einige der älteren Passagiere nicht mehr aus eigener Kraft gehen konnten, liefen geduckt unter den wirbelnden Rotorblättern hindurch und öffneten die hintere Frachtluke. Dempsey begab sich zum Cockpit und winkte Giordino zu, er solle das Seitenfenster öffnen. Der stämmige Italiener gehorchte und lehnte sich heraus.
»Ist Pitt bei Ihnen?« rief Dempsey über den Rotorenlärm hinweg.
Giordino schüttelte den Kopf. »Er und Van Fleet sind zurückgeblieben, um einen Schwarm toter Pinguine zu untersuchen.«
»Wie viele Passagiere des Kreuzfahrtschiffes konnten Sie befördern?«
»Wir haben sechs Leute reingequetscht, lauter ältere Damen, die am meisten gelitten haben. Mit vier weiteren Flügen sollte alles erledigt sein. Drei Touristentransporte, und dann noch ein letzter Hopser, um Pitt, Van Fleet, die Führerin und die drei Toten rauszuholen, die in der Museumsbaracke der alten Walfangstation liegen.«
Dempsey deutete in den dichten Schneeregen hinaus. »Finden Sie bei der Suppe überhaupt zurück?«
»Ich habe vor, Pitts tragbares Funkgerät anzupeilen.«
»Wie schlimm steht es um die Leute?«
»Besser als man meinen sollte, wenn man bedenkt, wie alt sie sind und daß sie drei Tage und Nächte in einer eisigen Höhle zugebracht haben. Pitt läßt Dr. Greenberg ausrichten, er soll vor allem aufpassen, daß sie keine Lungenentzündung kriegen. Die bittere Kälte hat den alten Leutchen schwer zugesetzt, so daß ihre Widerstandskräfte ziemlich geschwächt sind.«
»Haben sie eine Ahnung, was aus ihrem Kreuzfahrtschiff geworden ist?« fragte Dempsey.
»Bevor sie an Land gegangen sind, hat der Erste Offizier ihrer Führerin gesagt, daß das Schiff zwanzig Kilometer weiter küstenaufwärts fahren und eine andere Gruppe an Land absetzen wollte. Mehr weiß sie nicht. Das Schiff hat sich nicht mehr gemeldet, seit es abgedampft ist.«
Dempsey streckte den Arm aus und gab Giordino einen leichten Klaps auf den Arm. »Fliegen Sie rasch zurück, und passen Sie auf, daß Sie keine nassen Füße kriegen.« Dann begab er sich zu der Frachtluke und stellte sich den müden und ausgefrorenen Passagieren der
Polar Queen
vor, die gerade aus dem Hubschrauber stiegen.
Er breitete eine Decke über die dreiundachtzigjährige Frau, die auf einer Trage herausgehoben wurde. »Willkommen an Bord«, sagte er mit einem freundlichen Lächeln. »In unseren Offiziersunterkünften erwarten Sie heiße Suppe, Kaffee und ein weiches Bett.«
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht«, entgegnete sie liebenswürdig, »hätte ich lieber Tee.«
»Ihr Wunsch ist mir Befehl, Madame«, sagte Dempsey galant.
»Dann eben Tee.«
»Gott schütze
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