Schockwelle
sich aber nie auch nur einen Fußbreit von seinem Weg hatte abbringen lassen.
Der Körper war fest und glatt, von dem dunklen Haar auf seiner Brust einmal abgesehen. Er hatte breite Schultern, einen flachen Bauch und schmale Hüften. Die Muskeln an Armen und Beinen waren ausgeprägt, aber nicht übertrieben dick oder prall.
So wie auch die ganze Statur weniger kräftig als vielmehr drahtig wirkte.
Er strahlte eine gewisse Spannung aus, wie eine Feder, die jeden Moment losschnappen konnte. Und dann waren da die Narben. Sie wollte sich gar nicht erst ausmalen, woher die alle stammten. Er schien aus einem anderen Holz geschnitzt als all die anderen Männer, die sie gekannt hatte. Richtig geliebt hatte sie keinen von ihnen, und mit ihnen geschlafen hatte sie eher aus Neugier und in Rebellion gegen ihren Vater als aus Leidenschaft und Begierde.
Selbst als sie schwanger geworden war, hatte sie, um ihrem Vater zu trotzen, eine Abtreibung abgelehnt und ihre Zwillingssöhne ausgetragen.
Jetzt, da sie neben dem Bett stand und auf den schlafenden Mann hinabstarrte, empfand sie angesichts seiner Blöße eine seltsame Freude und Macht. Sie hob den unteren Teil des Handtuchs an, lächelte diabolisch vor sich hin und ließ ihn wieder fallen. Maeve fand Pitt ungeheuer attraktiv, sie wollte ihn haben, ja, sie sehnte sich schamlos und geradezu fieberhaft nach ihm.
»Irgendwas gesehen, was dir gefällt, Schwesterherz?« ertönte eine leise, heisere Stimme hinter ihr.
Entrüstet fuhr Maeve herum und starrte zu Deirdre, die lässig am Türrahmen lehnte und eine Zigarette rauchte.
»Was machst du hier?« herrschte sie sie flüsternd an.
»Aufpassen, daß du nicht mehr abbeißt, als du kauen kannst.«
»Sehr komisch.« Mit einer geradezu mütterlichen Geste zog Maeve die Zudecke über Pitts Körper und steckte sie unter der Matratze fest. Dann wandte sie sich ab, drängte Deirdre gewaltsam in den Vorraum und schloß leise die Schlafzimmertür. »Warum verfolgst du mich? Wieso bist du nicht mit den anderen Passagieren nach Australien zurückgekehrt?«
»Das gleiche könnte ich dich fragen, Schwesterherz.«
»Die Wissenschaftler auf diesem Schiff haben mich gebeten, an Bord zu bleiben und einen Bericht über meine Erfahrungen mit dieser tödlichen Bedrohung abzufassen.«
»Und ich bin hiergeblieben, weil ich dachte, wir könnten uns vielleicht einen Kuß geben und uns wieder vertragen«, sagte Deirdre und zog an ihrer Zigarette.
»Vor einiger Zeit hätte ich dir vielleicht geglaubt. Aber jetzt nicht mehr.«
»Ich muß zugeben, daß es auch andere Gründe gab.«
»Wie hast du es überhaupt geschafft, daß ich dich in all den Wochen, die wir auf See waren, nie zu Gesicht bekommen habe?«
»Ob du’s glaubst oder nicht, ich bin die ganze Zeit über wegen einer Magenverstimmung in meiner Kabine geblieben.«
»Das ist doch absoluter Quatsch«, versetzte Maeve. »Du hast eine Konstitution wie ein Pferd. Ich habe noch nie erlebt, daß du krank wirst.«
Deirdre blickte sich nach einem Aschenbecher um, und als sie keinen fand, öffnete sie die Kabinentür und schnippte ihre Zigarette über die Reling ins Meer. »Bist du denn gar nicht über mein wundersames Überleben erstaunt?«
Verwirrt und unsicher schaute Maeve ihr in die Augen. »Du hast doch allen erzählt, du wärst in der Kühlkammer gewesen.«
»Ziemlich gutes Timing, findest du nicht?«
»Du hattest unglaubliches Glück.«
»Mit Glück hatte das nichts zu tun«, widersprach Deirdre.
»Und was ist mit dir? Hast du dich noch nicht gefragt, wieso du genau im richtigen Moment in der Höhle bei der alten Walfangstation warst?«
»Worauf willst du hinaus?«
»Du begreifst es immer noch nicht, stimmt’s?« sagte Deirdre, als schelte sie ein unartiges Kind. »Hast du etwa gemeint, Papa würde alles vergeben und vergessen, nachdem du aus seinem Büro gestürmt bist und geschworen hast, daß du nie wieder einen von uns sehen möchtest? Und ganz besonders sauer geworden ist er, als er gehört hat, daß du offiziell deinen Familiennamen abgelegt und den unserer Urururgroßmutter angenommen hast. Fletcher, ausgerechnet. Er hat dich ununterbrochen überwachen lassen, von Beginn deines Studiums an bis zu deiner Anstellung bei Ruppert & Saunders.«
Maeve starrte sie wütend und ungläubig zugleich an, doch das legte sich, als ihr allmählich etwas dämmerte. »Hatte er etwa Angst, ich könnte den falschen Leuten von seinen schmutzigen Geschäften erzählen?«
»Wenn Papa zu
Weitere Kostenlose Bücher