Schön scheußlich
trauriges Gegenstück zum scharlachroten Buchstaben.
Wir mögen vielleicht über den Sexappeal einer Knollennase oder eines schiefen Lächelns reden, aber die Gesichter, die wir als die allerschönsten erachten - diejenigen, die uns von jedem Mode-und Freizeitmagazin im Zeitschriftenstand kühl entgegenblicken - , sind in der Tat zumeist von außerordentlicher Symmetrie. Bei einem recht viel sagenden Experiment fotografierten Wissenschaftler Studenten und Studentinnen, fütterten die Fotos in einen Computer ein und digitalisierten sie, um genaue Messungen an ihnen vornehmen zu können. Anschließend schätzten sie die relative Symmetrie der Gesichter, indem sie gewissen Schlüsselmerkmalen einen Punkt zuordneten: äußeren und inneren Au genwinkeln, Wangenknochen, Mundwinkeln, dem äußeren Verlauf beider Nasenflügel und den äußersten Punkten des Unterkiefers. Jeder Punkt wurde mit seinem Gegenüber durch eine Linie verbunden und anschließend der Mittelpunkt dieser Linie bestimmt. Bei einem vollkommen symmetrischen Gesicht bildeten diese Mittelpunkte eine vertikale Linie entlang der Gesichtsmitte. Jede Abweichung von dieser Vertikalen war ein Maß für die horizontale Asymmetrie.
Die Wissenschaftler legten die computerisierten Bilder anderen Studenten vor und baten diese, die Attraktivität der betreffenden Person zu bewerten. Jawohl, so erfuhren sie, die symmetrischsten Gesichter gelten in der Tat als die anziehendsten. Doch die Wissenschaftler gingen noch weiter und baten ihre fotografierten Studenten, einen Fragebogen auszufüllen, in dem unter anderem gefragt wurde, wann sie ihre Jungfräulichkeit verloren haben und wie viele Geschlechtspartner sie bereits hatten - Auskünfte, die man als einen groben Anhaltspunkt für die so genannte genetische Fitness des Betreffenden werten kann, das heißt für seine Chancen, dem menschlichen Genpool die eigenen Gene hinzuzufügen.
»Es funktionierte wie ein Zaubertrick«, erklärte der Wissenschaftler. »Diejenigen mit der ausgeprägtesten Gesichtssymmetrie hatten ihre Jungfräulichkeit am frühesten verloren, und die Zahl ihrer Geschlechtspartner war am höchsten.« Bei Männern erwies sich ein symmetrisches Gesicht als probateres Mittel, sich einen steten Strom an Partnerinnen zu sichern, als eine witzige Anmache oder ein Renommee als Sportskanone.
Biologisch gesehen sind ein symmetrisches Gesicht und eine ebenmäßige Figur ein Indiz dafür, dass die zentralen Systeme des männlichen Partners im Verlauf der kritischen Wachstumsphasen ausnahmslos in Topform gearbeitet haben. Ein wohlproportionierter Körper kann überdies ein Zeichen dafür sein, dass das Männchen über ein Immunsystem verfügt, das imstande ist, Parasiteninfektionen abzuwehren, die, wie man weiß, einen gestörten Wuchs von Federn, Flügeln, Fell oder Knochen bewirken können. Vielleicht signalisiert es aber auch eine tiefer gehende Widerstandsfähigkeit gegenüber möglichen Gefahren für eine ungestörte Entwicklung wie Nahrungsmangel, Temperaturextreme und Umweltgifte.
Der Theorie zufolge wählen Weibchen ein symmetrisches Männchen, weil dieses seinem Nachwuchs die besseren Gene mitgeben wird oder weil es aller Wahrscheinlichkeit nach in hinreichend guter Verfassung ist, um bei Aufzucht und Schutz der Jungen von Nutzen zu sein.
Die Erforschung der Wirkung von Symmetrie ist Teil des Wissenschaftszweigs, der sich mit der sexuellen Auswahl beschäftigt, einem intellektuellen Tummelplatz, der eine Menge neuer Thesen zu der Frage produziert hat, warum Weibchen sich für bestimmte Männchen und gegen andere entscheiden. Viele auffällige Merkmale bei Männchen, angefangen beim extravaganten Gefieder eines Pfaus bis hin zum rhythmischen Zirpen einer Grille, sind offenbar über Generationen hinweg durch den weiblichen Geschmack geformt worden, und es stellt eine ziemlich große Herausforderung dar, hinter die Ursache eines bestimmten Faibles zu kommen. Eine einzelne Erklärung wird hier kaum hinreichen. Gelegentlich scheinen Weibchen sich offenbar als Mitläufer zu betätigen - wenn beispielsweise ein Fischweibchen beobachtet, welches Männchen seine Rivalin bevorzugt, und sich dann unausweichlich ebenfalls an dessen Fersen heftet.
Durch die Ausstattung mit exotischen und ganz unnatürlichen Verzierungen lassen Männchen sich hyperattraktiv gestalten. Setzt man einem Zebrafinkenmännchen beispielsweise eine weiße Federhaube auf den Kopf - ein Merkmal, das bei Zebrafinken normalerweise nicht
Weitere Kostenlose Bücher