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Schön scheußlich

Schön scheußlich

Titel: Schön scheußlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Angier
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zusammenrotten.
    Eine zehnjährige Studie erfasste einen Verbund von über dreihundert männlichen Delfinen vor der westaustralischen Küste. Die Wissenschaftler stellten fest, dass ein Tümmlermännchen bereits in jungen Jahren eine unerschütterliche Allianz mit einem oder zwei anderen Männchen eingeht. Die Tiere bleiben Jahre, manchmal ein Leben lang zusammen, schwimmen, fischen und spielen miteinander und dokumentieren ihr festes Freundschaftsband dadurch, dass sie stets Seite an Seite schwimmen und ihre Sprünge in makelloser Synchronie vollführen.
    Manchmal bringt es das Paar oder das Trio fertig, ein fruchtbares Weibchen allein zu erringen. Doch was geschieht, sobald die Männchen ein Weibchen in ihrer Gewalt haben? Ob dieses einen oder alle von ihnen zum Partner nimmt, ist nicht bekannt. Bei Delfinen findet die Kopulation in großer Wassertiefe statt, und es ist nahezu unmöglich, sie zu beobachten. Auch verstehen Forscher nicht, woher die Männchen wissen, wann ein Weibchen fruchtbar ist oder kurz vor der Brunst steht und deshalb wert ist, gekapert zu werden. Manchmal beschnuppern die Männchen die Genitalien eines Weibchens, als versuchten sie, dessen Empfänglichkeit zu ergründen. Doch da Große Tümmler so selten Nachwuchs bekommen, könnten die Männchen ebenso gut versuchen, ein Weibchen auch in ihrer Nähe zu halten, wenn dieses nicht fruchtbar ist - in der Hoffnung, dass es nach ihren Diensten verlangt, wenn der ersehnte Augenblick des Eisprungs naht.
    Bei anderer Gelegenheit sind potenzielle Partnerinnen rar, und die männlichen Bündnisse geraten unter Druck. In solchen Fällen versucht ein Duo oder ein Trio, anderen Gruppen ein Weibchen zu entführen. Sie spüren einen anderen Zusammenschluss einsamer Junggesellen auf und überreden dieses Paar oder Trio mit ein paar geschickten Schlägen ihrer Brustflossen oder sanften Nasenstübern dazu, sich an dem Unternehmen zu beteiligen.
    Ist der Pakt besiegelt, fallen die bei den Delfingangs gemeinsam über eine dritte Gruppe her, die ein Weibchen bei sich hat. Sie jagen und bestürmen die anderen, und da sie in der Überzahl sind, gewinnen sie meistens und nehmen das Weibchen mit. In diesem Augenblick zerfällt die siegreiche Allianz bezeichnenderweise, und ein Paar oder Trio zieht mit dem Weibchen davon. Das andere gibt sich den Anschein, als habe es Ersterem aus reiner Freundschaft geholfen.
    Dieser Kumpanengeist kann allerdings eine flüchtige Angelegenheit sein. Zwei Delfingruppen, die in der einen Woche kooperiert haben, können in der nächsten zu erbitterten Gegnern werden. Und ein Männchenduo kann durchaus die Seiten wechseln, um einer zweiten Gruppe beizustehen, die dasselbe Weibchen stibitzen will, das zu erringen sie den kämpfenden Besitzern zuvor geholfen hatten.
    Die Instabilität und Kompliziertheit der Paarungsspiele mag erklären, warum Männchen sich gegenüber den Weibchen, die sie schließlich einfangen, so aggressiv und fordernd verhalten. Männchenduos oder - trios bewachen ihre Weibchen mit zügelloser Eifersucht, stoßen mit den Köpfen nach ihnen, greifen sie an, beißen sie, schwimmen und springen in vollkommenem Einvernehmen um sie herum, machen ihre eigenen Körper zu lebenden Zäunen. Manchmal tauchen sie mit erigiertem Penis unter ihnen an die Oberfläche, ohne jedoch ernsthaft eine Kopulation zu versuchen. Oder ein Männchen lässt dem Weibchen gegenüber ein bestimmtes schnalzendes Geräusch erschallen, ein Laut, der klingt, als klopfe man mit der Faust auf hohles Holz. Dieses Geräusch bedeutet vermutlich: »Komm her!« Denn wenn das Weibchen es ignoriert, wird es von dem betreffenden Männchen bedroht oder angegriffen.
    Irgendwann paart sich das Weibchen mit einem oder mehreren Männchen, und wenn das Kalb geboren ist, verliert das Bündnis das Interesse an ihm. Delfinweibchen ziehen ihre Jungen über vier bis fünf Jahre hinweg allein auf.
    Vielleicht hat der Druck, kooperieren und sich mit den Artgenossen zusammentun zu müssen, die Evolution des Delfingehirns beschleunigt. Beim Delfin ist wie bei kaum einem anderen Tier das Gehirn in Relation zur Körpermasse sehr groß; und dieses Verhältnis gilt oftmals als Maß für die Intelligenz. Eine ähnliche Hypothese hat man für das Aufblühen der Intelligenz beim Menschen, einer weiteren Art mit relativ großem Gehirn, aufgestellt. Menschen haben sich wie die Delfine unter höchst komplexen sozialen Bedingungen entwickelt. Verwandtschaft, Freund und Feind lebten auf

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