Schön scheußlich
Chaperonen namens Hsp60. Diese Moleküle sehen aus wie zwei aufeinander gestapelte Doughnuts, die einen zentralen, geschützten Tunnel bilden, durch den das teilweise gefaltete Protein zur weiteren Gestaltung hineingezogen werden kann, sodass es nicht mehr durch außen umherstreunende Peptide gestört wird. Schließlich wird das Protein zu einem runden, dichten, energiegeladenen Etwas, ausgerüstet vielleicht mit einem greiferähnlichen Aufsatz, mit dem es vorüberdriftender Hormone habhaft werden kann, oder einer tiefen Tasche, in der es eine eindringende Mikrobe verstauen kann. Nach abgeschlossener Faltung lassen die Chaperone das Protein los, auf dass es sein Glück im Gewirr des Lebens versuche, und begeben sich zum nächsten zu umsorgenden Neugeborenen, veranstalten ein emsiges Kommen und Gehen an den Schlaufen, Schlitzen und Windungen einer sich immer stärker verdichtenden Peptidkette. Hunderte, wenn nicht tausende Male in jeder Stunde betätigen sie sich als winzige Alchimisten, spinnen langweiliges chemisches Stroh zu glitzernden Proteingoldfäden.
12.
Der Schlüssel zur Langlebigkeit
Menschliche Chromosomen, ihrem Aussehen nach so etwas wie Würstchen mit geschnürter Taille, sind in so gut wie jeder Zelle unseres Körpers vorhanden und genießen als Sitz der menschlichen Gene einen besonderen Ruf. Doch ein paar kleine architektonische Einzelheiten der Chromosomen verdienen mindestens ebenso viel Berühmtheit wie die in ihnen enthaltenen hunderttausend Gene. Auf den äußersten Spitzen der Chromosomen befinden sich außerordentlich interessante Strukturen, die sich aus nur sechs DNS-Buchstaben zusammensetzen, die permanent wiederholt werden, viele tausend Mat wie ein monotoner molekularer Gesang. Hinter dieser Monotonie verbirgt sich ein Lied der Lieder, denn diese Strukturen, die so genannten Telomere, sind in jedem Stadium zellulären Lebens von großer Bedeutung. Sie schützen die Chromosomen vor Schaden. Sie manövrieren sie in ihre richtige Position innerhalb des Zellkerns. Und, noch viel wichtiger, sie dienen als eine Art Zeitmesser, der der Zelle mitteilt, wie alt sie ist. Jedes Mal, wenn sich eine unserer Zellen teilt, werden die Telomere an ihren Chromosomen um ein bestimmtes, winzig kleines Stück gekürzt. Damit bietet die Länge der Chromosomenspitze der Zelle ein Maß dafür, wie oft sie sich bereits geteilt hat - und wie viele Teilungen ihr noch zustehen, bevor die Lebensspanne der Zelle abgelaufen ist. Zwar mögen einzelne Zellen im Lauf eines Lebens sterben und ersetzt werden, aber es besteht eine starke Korrelation zwischen der Länge der Telomere und dem Niedergang des gesamten menschlichen Organismus. Im Durchschnitt sind die Telomere eines Siebzigjährigen weit kürzer als die eines Kindes, und es ist durchaus möglich, dass wir dem Ende nahe sind, sobald die Telomere in den meisten Zellen unseres Körpers eine bestimmte Länge nicht mehr überschreiten. Kein Wunder also, dass die Arbeit an Telomeren von großer Bedeutung für die Untersuchung von Alterungsprozessen ist. Manche Forscher haben beispielsweise spekuliert, dass die Aufstockung von Telomeren dazu beitragen könnte, alternde Zellen wieder auf Vordermann zu bringen - insbesondere in Körperteilen, in denen die Beanspruchung besonders erbarmungslos ist, beispielsweise im Bereich der Herzkranzgefäße.
Abgesehen von ihrer Rolle als Stundenglas der Zelle sind an Telomeren noch die dramatischen Veränderungen bemerkenswert, die sie im Verlauf der Entstehung und Fortentwicklung einer Krebserkrankung durchmachen. Wenn eine Zelle entartet und anfängt, sich unaufhörlich und ohne Rücksicht auf Verluste zu teilen, verkürzen sich ihre Telomere. Mit jeder unstatthaften Teilung wird ihnen ein Stückchen genommen. Damit bietet die Telomerlänge ein Mittel zur Beurteilung des Stadiums der Krebszelle: Je kürzer die Spitze im Vergleich zu den gesunden Zellen des Patienten, umso fortgeschrittener die Malignität. An einem sehr weit fortgeschrittenen und hoch aggressiven Punkt der Tumorentwicklung kann es jedoch zu einer hässlichen Wendung kommen: Die Telomere hören auf zu schrumpfen und beginnen wieder zu wachsen. Bei der Untersuchung von Krebszellen, die man in Laborgefäßen gezüchtet hat, haben Wissenschaftler zwar festgestellt, dass die überwiegende Mehrheit der Zellen letztlich abstirbt, aber ein winziger Bruchteil wird unsterblich und ist damit praktisch in der Lage, sich bis in alle Ewigkeit weiter zu teilen. Diese
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