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Schön scheußlich

Schön scheußlich

Titel: Schön scheußlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Angier
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ist am oberen und unteren Ende mit einem Telomer bestückt, das sich isolieren und untersuchen lässt.
    Bei der detaillierten Untersuchung der Telomere stellten die Forscher fest, dass diese aus nur sechs DNS-Basen bestehen, chemischen Untereinheiten, die an beiden Enden jedes einzelnen Chromosoms viele tausend Mal wiederholt werden. In unseren Zellen lautet die Sequenz TTAGGG. Sie kommt je nach Zelltyp und - alter zwischen ein-und dreitausend Mal vor. Für sich genommen hat diese Sequenz keine eigene Bedeutung. Sie dient jedoch unter anderem dazu, die Chromosomen zu stabilisieren. Wie Bücherstützen halten die Telomere alles an seinem Platz.
    Bei jenen sich unendlich oft teilenden Teichgeschöpfen müssen auch die Telomere selbst konserviert werden. Ein Pantoffeltierchen kann es sich nicht leisten, seine Telomere jedes Mal ein bisschen mehr dahinschwinden zu sehen, wenn es sich teilt, denn das hieße, dass es sich bei seiner Reproduktion schließlich selbst ins Aus manövrieren und letztlich von der Bildfläche verschwinden würde. Die Zellen in einem Tümpelwassertropfen enthalten große Mengen des Reparaturenzyms Telomerase. Dieses Molekül lässt sich mit nichts von alledem vergleichen, was der Wissenschaft bislang bekannt war. Mitten in dem Enzym befindet sich eine Art chemische Gussform, eine RNS-Vorlage für die sechs Buchstaben des Telomers. Das Enzym verwendet diese Vorlage, um dem Ende des Telomers immer wieder ein neues Basensextett anzufügen und so alle Stücke der Bücherstütze zu ersetzen, die im Verlauf der Zellteilung abhanden gekommen sind.
    Inzwischen haben Forscher herausgefunden, dass dieses Telomer-Reparaturenzym zwar bei Pantoffeltierchen und anderen einfachen Arten rund um die Uhr arbeitet, aber in den meisten Geweben bei uns und anderen Säugetieren inaktiv ist. Unsere Telomere schrumpfen mit zunehmendem Alter. Normale menschliche Zellen teilen sich zwischen siebzig und hundert Mal, und bei jeder Teilung verlieren sie an ihren beiden chromosomalen Enden um die fünfzig Buchstaben. Bevor die Telomere ganz und gar verschwinden, verformen sich die zwischen ihnen eingepferchten Chromosomen. Sie werden klebrig und heften sich in so verdrehter Konfiguration an andere Chromosomen, dass der Zelle nichts anderes übrig bleibt, als aufzugeben und zu sterben. Zugegeben, es wäre möglich, dass die Degradation der Telomere das Altern und den Tod von Zellen nicht verursacht, sondern wie graue Haare und Altersweitsichtigkeit nur eine Begleiterscheinung ist. Dennoch gibt es ein paar sehr überzeugende Indizien dafür, dass die Telomere über die verstreichende Zeit Buch führen und erst im letzten Augenblick Alarm auslösen. Untersuchungen am Teilungsverhalten von Zellkulturen haben ergeben, dass die schrumpfenden Telomere die Chromosomen bis unmittelbar vor dem Augenblick, in dem die der Zelle zugestandene Zeit verstrichen ist, in einem bemerkenswert stabilen Zustand halten - statt die ganze Sache allmählich vor sich hin rotten zu lassen, wie dies vielleicht geschehen würde, wenn die Telomere eine rein zufällige Begleiterscheinung des Verfalls wären. Zu kurze Telomere scheinen vielmehr den anderen Molekülen der Zelle zu signalisieren, sie sollten aufhören zu arbeiten, aufhören, sich zu teilen und zu plagen, und sich statt dessen fürs Sterben bereitmachen. Dennoch ist die Verknüpfung zwischen Chromosomenenden und Alterungsprozessen eine delikate Angelegenheit, und es besteht wenig Hoffnung, dass die Forschung in nächster Zukunft irgendeinen wundersamen Anti-Telomer-Alterungstrank abwerfen wird. Zudem sollten wir mit dieser Art von Medikament lieber nicht unbedacht herumspielen, denn wir haben schließlich gesehen, was passiert, wenn in den Zellen eines alternden Erwachsenen plötzlich die Telomere der Jugend sprießen: Sie treten das Gaspedal durch und wachsen ungebremst weiter.

13.
Was passiert, wenn DNS geknickt wird?
     
     
    Im landläufigen Bild ist die DNS der wohltätige Diktator der Zelle, jenes allwissende Molekül, auf dessen Befehle hin Enzyme hergestellt werden, Nahrung verdaut oder ein willfähriger Tod gestorben wird. Neuere Erkenntnisse legen jedoch die Einsicht nahe, dass die DNS eher dem Durchschnittspolitiker ähnelt, den eine Horde von Proteinhandlangern und Beratern umgibt, die ihn zunächst einmal gut durchmassieren, drehen und wenden und gelegentlich auch einmal völlig ummodeln müssen, bevor er Sinnvolles leisten kann, sprich, bevor der Bauplan des Körpers überhaupt

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