Schön scheußlich
heimlich in die Chromosomen einzuschleichen. Die Deformation von DNS kann Zellen andererseits auch töten: Cisplatin, ein häufig eingesetztes Chemotherapeutikum, zerstört die sich rasch teilenden Zellen eines Tumors, indem es die DNS zu einer abnormen Konfiguration verbiegt. Diese Deformation lockt andere Proteine an den Ort der Schlaufenbildung zu einem molekularen Volksauflauf, der mit der Blockade der DNS-Replikation und schließlich dem Tod der Zelle endet. Wenn die Kinetik normaler und pathologisch veränderter DNS-Umformungen besser verstanden ist, befinden sich die Biologen womöglich in einer günstigeren Position, wenn es darum geht, eindringenden Viren einen Strich durch die Rechnung zu machen oder einer Tumorzelle effizient einen Knüppel ins Getriebe zu werfen. Vor allem anderen aber rücken die Erkenntnisse über das Verbiegen von DNS den Aspekt der Dynamik in deren Architektur und dessen Bedeutung für ihr reibungsloses Funktionieren ins rechte Licht. Die gegenwärtigen Arbeiten über DNS-Verbieger und andere Proteine, die die Doppelhelix zwicken, einwickeln, schlingen und zwingen, machen deutlich, dass DNS ständig in Bewegung ist und unablässig mit Heerscharen von Molekülen in ihrer Umgebung kommuniziert. Ihre nimmermüde Aktivität und Flexibilität bedeuten, dass die chemischen Strukturen, die in den einzelnen Genen kodiert sind, auf überwältigend viele Arten gelesen werden können. »Die übergeordnete Struktur von DNS ist dynamisch«, erklärt ein Wissenschaftler. }>Sie verändert sich mit der Zeit.«
Wie bei so vielen Entdeckungen auf dem Gebiet der Genkontrolle stammt auch in diesem Fall ein Großteil unseres derzeitigen Wissens aus Untersuchungen an Bakterien. Bakterien-DNS ist kürzer und einfacher strukturiert als Säuger-DNS, und sämtliche ihrer Teile und Schalter sind auf optimale Leistung ausgerichtet, damit die Mikroben sich so rasch wie möglich vermehren können. Wissenschaftler, die sich mit den hierfür verantwortlichen DNS-Abschnitten beschäftigen, erkannten bald, dass die DNS in ihrer Gesamtheit betrachtet wohl über viele Kurven und Schlingen verfügt - daher das Bild einer sich windenden Helix - , auf kurzen Abschnitten jedoch recht starr ist. Damit ich mir diesen Unterschied besser bildlich vorstellen könne, so ein Wissenschaftler, solle ich mir einen langen, hoch biegsamen Stock vorstellen - etwa den Bogen eines Schützen. Wenn ich versuchen würde, irgendein kurzes Stück dieses Stocks zu verbiegen, müsste ich feststellen, dass es sich wie ein starres Stück Holz verhält. Ganz ähnlich ist die DNS in ihrer übergeordneten Struktur extrem formbar, im Kleinen aber straff gespannt.
Doch schon früh in ihren Untersuchungen lernten die Wissenschaftler, dass selbst die Starrheit der kurzen Bereiche manchmal nachlässt. Wenn bestimmte DNS-Sequenzen zusammen vorkommen - beispielsweise ein Abschnitt aus lauter Wiederholungen der chemischen Base Adenin - , dann ist dieser Chromosomenabschnitt ganz leicht gebogen. Bei näherem Hinsehen stellte sich heraus, dass diese gebogenen Regionen Orte höchst interessanter Aktivitäten sind. Dort, wo sich auf einem Chromosom Aneinanderreihungen von Adenin finden, existieren Stellen, an denen die Transkription beginnt, das heißt, an denen DNS in eine andere chemische Form namens RNS umgeschrieben wird, und dies ist der erste Schritt auf dem Weg zur Bildung von Proteinen. Auf irgendeine Weise trägt die chromosomale Biegsamkeit, die sich aus der Anhäufung von Adenin ergibt, zur Entstehung von genetischer Aktivität bei.
Ein Virus, das vorhat, sich in das Genom eines Bakteriums einzuklinken, bringt es fertig, die entsprechende Region auf dem Wirts-Chromosom zu verbiegen und dann seine eigenen Gene entlang dieses Knicks einzufädeln. Dieser Befund führte zur Isolierung eines Bakterienproteins, dem man den Namen integration host factor, kurz IHF, gab und das die DNS um hundertvierzig Grad krümmen, also beinahe umklappen kann. Das Bakterium nutzt den Faktor in der Regel, um sein genetisches Material im Verlauf einer gewöhnlichen Zellteilung zu durchmischen - zu rekombinieren - , doch das gerissene Virus bedient sich seiner für seine eigenen Ziele. Es täuscht dem Bakterium vor, seine DNS krümme sich einzig zum Wohl einer ganz normalen Rekombination, und dann schmuggelt das Virus sein eigenes genetisches Gepäck in die zerknautschte Region.
In der Folge haben Wissenschaftler eine Riesenfamilie von Proteinen identifiziert, die mit der
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