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Schön scheußlich

Schön scheußlich

Titel: Schön scheußlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Angier
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Unterschlupf ineinander verschlungen, wo sie einander um ein oder zwei Grad wärmer halten, als sie es allein könnten. In der Vergangenheit waren solche Winterlager ein beliebtes Ziel für Farmer und Viehzüchter: Sie räucherten sie aus oder jagten sie in die Luft. Zwar ist diese Praxis in den meisten Staaten inzwischen illegal, aber manche Grubenotterarten müssen sich von zurückliegenden Ausrottungsversuchen erst noch erholen.
    Allen Grubenottern sind zwei herausragende Merkmale gemeinsam: eine bewegliche Rassel, beziehungsweise deren knubbeliger geräuschloser Vorläufer, und die tiefen Gruben auf beiden Seiten des Kopfes. Diese Gruben liegen in einer Einbuchtung des Oberkieferknochens und sind mit einem dünnen Häutchen überspannt, das von einem ungewöhnlich dichten Geflecht aus sensorischen Nervenzellen durchzogen ist und als eine Art Linse zur Wahrnehmung von thermischer Strahlung dient. Die aufgefangenen Infrarotsignale werden von dem Häutchen an die Gehirnteile weitergeleitet, die auch die visuelle Information von den Augen empfangen, und erzeugen dort eine Art thermisches Bild, durch das das visuelle Bild verstärkt wird.
    Die traditionellen Vermutungen über den Zweck dieser Gruben sind jedoch womöglich falsch. Die Forscher waren lange Zeit der Auffassung, dass diese sensorischen Organe den Schlangen bei der Jagd auf warmblütige Beutetiere helfen. Doch Vergleiche zwischen dem Verhalten von Grubenottern und dem verwandter grubenloser Vipernarten legen den Schluss nahe, dass die Infrarotdetektoren nicht zum Zweck des Angriffs, sondern aus Verteidigungsgründen entstanden sind. Die Grubenotter verwendet die thermischen Informationen eines herannahenden Tieres, um abzuschätzen, ob der potenzielle Räuber klein genug ist, um sich durch Drohgebärden abschrecken zu lassen, oder ob die Schlange besser daran tut, sich davonzumachen. Harry Greene, der Vater dieser neuen Theorie, erklärt dazu, dass Grubenottern und ihre grubenlosen Verwandten - denen der Vorzug einer Infrarotwahrnehmung abgeht - keinerlei Abweichungen bezüglich ihres Jagd-und Fressverhaltens zeigen. Beide Schlangenarten bevorzugen Nagetiere und andere Kleinsäuger, die sie aus dem Hinterhalt erlegen.
    Die beiden Familien unterscheiden sich jedoch hinsichtlich ihrer jeweiligen Taktik des Selbstschutzes. Grubenlose Vipern sind auf raschen Rückzug eingerichtet. Sie verfügen in der Regel über eine gestreifte Musterung, die eine optische Täuschung verursacht, aufgrund derer sie schwer zu sehen und zu fangen sind. Auch fehlt den grubenlosen Vipern und Ottern eine Rassel, um Eindringlingen zu signalisieren, dass mit ihnen nicht gut Kirschen essen ist. Grubenottern hingegen rasseln mit ihren Kastagnetten oder klopfen mit ihren knubbeligen Rasselvorläufern auf den Boden. Sie sind meist mit Flecken übersät, was ihnen keinerlei Vorteile bei der Flucht bieten würde.
    Es gibt einen Grund für das unterschiedliche Verhalten bei Gefahr: Grubenlose Otter-und Vipermütter verteidigen in der Regel ihre Eier nicht, sondern suchen sich eine verborgene Stelle, an der sie ihre Eier ablegen und sich selbst überlassen, bis die Eier gefressen werden oder aus ihnen der Nachwuchs schlüpft. Grubenottern bleiben in der Regel in der Nähe und bewachen ihr Gelege Tage und Wochen, bis die Jungen ausschlüpfen. Da Schlangeneier zu den allgemein begehrten Delikatessen der Natur gehören, ist die Mutter während ihrer Wache zweifelsohne einer Menge Bedrohungen ausgesetzt. Wenn sie bei der Verteidigung ihrer selbst und ihrer Jungen eine Chance haben soll, muss sie über Mittel verfügen, einen Übeltäter aufzuspüren und dessen Körpergröße abzuschätzen, bevor der Eindringling auf der Bildfläche erscheint. Dadurch dass sie die Körperwärme der herannahenden Bedrohung wahrnimmt, kann sie entscheiden, ob Widerstand nutzlos ist und sie sich besser davonschlängelt oder ob der Augenblick gekommen ist, sich aufzurichten, zu rasseln und zuzuschlagen.

IV.
 
 
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21.
Spielend gewinnen
     
     
    Neben der Liebe und einem guten Witz scheint auch der Spieltrieb etwas zu sein, das keinerlei Erklärung bedarf - ein heller Strahl beseelter Freude, die zu beobachten oder zu teilen ein so ungetrübtes Vergnügen ist, dass es keinerlei Rechtfertigung braucht. Die große, weite, wilde Welt ist ein einziger Spielplatz, und so mancher Naturforscher hat von seinem grenzenlosen Entzücken beim Anblick eines Walkalbs berichtet, das sich an der Seite seiner Mutter

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