Schön scheußlich
die Plazenta aber wandelt das mütterliche Testosteron in eine harmlose Östrogenvariante um, die den Fetus nicht erreichen kann und somit ohne Wirkung auf dessen Genitalwachstum bleibt.
Die Hyäne aber ist weder ein durchschnittliches Weibchen noch eine durchschnittliche Herrscherin. Im Blut der Hyänenmutter zirkulieren horrende Mengen eines weit verbreiteten Säugerhormons, des Testosteronvorläufers Androstendion. Endokrinologen haben dieses Hormon lange als wenig wirksam abgetan, doch die Hyänengeschichte lässt einen anderen Schluss zu. Bei der Hyänenmutter fungiert die Plazenta nicht als Schutz vor Hormonen im mütterlichen Blut, sondern sie formt den Vorläufer Androstendion zu explosiven Mengen an Testosteron um. Feten beiderlei Geschlechts werden auf diese Weise Testosteronmengen ausgesetzt, die bei weitem alles übersteigen, was ein männlicher Fetus selbst produzieren könnte.
Hinzu kommt, dass die Tragzeit bei Hyänen ungewöhnlich lang ist. Sie dauert hundertzehn Tage und ist damit zwei Wochen länger als die des weit größeren Löwen. Im Verlauf dieser ausgedehnten Schwangerschaft erwachsen den Weibchen nicht nur männliche Genitalien, sondern es bekommen auch alle Feten die Chance heranzureifen. Sie werden so groß, dass sie beim Durchtritt durch ihren ungewöhnlichen Geburtskanal nicht selten die mütterliche Klitoris einreißen. Sie kommen mit offenen Augen, ausgebildeter Muskelkoordination und, ungewöhnlich für Neugeborene, mit bereits durchbrochenen Zähnen zur Welt. Die Kombination aus der Wirkung des Testosterons und der bereits ausgereiften kriegerischen Ausrüstung hat oft tödliche Konsequenzen, und obwohl Hyänenjunge in der Regel zu zweit geboren werden, bleiben sie meist nicht lange ein Pärchen. Die meisten Neugeborenen suchen nach den Zitzen der Mutter, Hyänenjunge jedoch suchen nach dem Nacken ihres Geschwisters. Binnen weniger Stunden tötet meist das eine Jungtier das andere, vor allem dann, wenn beide demselben Geschlecht angehören. Diese Art von Brudermord ist unter Säugetieren ziemlich selten.
Diese Feindseligkeit im Säuglingsalter ist fast ausschließlich der Wirkung des Testosterons zuzuschreiben. Wenn die Jungen heranwachsen, werden Hormon-und Verhaltensprofile komplexer. Junge Männchen und Weibchen verfügen über annähernd gleiche Androgenspiegel im Blut, doch die Weibchen spielen weit raubeiniger und heftiger als die Männchen. Und selbst wenn die Weibchen heranreifen und ihnen ihre Ebenbürtigkeit in punkto Testosteron abhanden kommt, bleiben sie unverändert unbezähmbar. Diese lebenslange Aggressivität lässt vermuten, dass an der Ausbildung der weiblichen Persönlichkeit außer Testosteron noch andere Hormone beteiligt sind. Der naheliegendste Kandidat für eine solche »Beißzangen«-Substanz ist das Vorläuferhormon Androstendion, das bei weiblichen Hyänen in großen Mengen vorkommt und im Gehirn womöglich ähnlich wirken könnte wie Testosteron. Wenn sich dies als zutreffend erweisen sollte, hätten wir damit womöglich auch einen Hinweis auf die Ursachen weiblicher Aggressivität bei anderen Säugern. Primatenweibchen - Menschen eingeschlossen - weisen beträchtliche Mengen an Androstendion auf, und das könnte erklären, warum Frauen unter gewissen Umständen höchst aggressiv sein können, auch wenn ihr Testosteronspiegel im Schnitt nur ein Zehntel so hoch ist wie bei Männern.
Hinter dem kriegerischen Verhalten weiblicher Hyänen steht das unbarmherzige Diktat ihrer Lebensweise. Wenn Hyänen sich an einem frisch erlegten Beutetier gütlich tun, verfallen sie in eine Art Rausch. Sie gönnen sich zwischen den hastig heruntergeschlungenen blutigen Bissen kaum eine Pause zum Luftholen. Da gibt es keine Kooperation beim Fressen, kein Teilen, kein »Gib mir doch bitte mal ein Stückchen Niere«. Ein derart hitziges Fressverhalten kann die Evolution weiblicher Aggressivität durchaus begünstigt haben, mussten die Weibchen sich doch durchsetzen, damit ihre Jungen zu ihrem Recht kamen. Hinzu kommt, dass die Weibchen das soziale Rückgrat eines Hyänenclans bilden: Tanten, Schwestern, Mütter und Töchter leben miteinander, und nur eine begrenzte Anzahl an Männchen wird zur Zeugung der Nachkommen in der Nähe geduldet. Bei Erreichen der Geschlechtsreife müssen die Männchen den Clan verlassen, und die Weibchen bewachen das von ihnen besetzte Revier gegen aufdringliche Junggesellen. Vielleicht hat also die Struktur der Hyänengesellschaft die hormonellen
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