Schöne Leichen (Ein Lisa Becker Krimi) (German Edition)
umhin, diesen Teil ihrer Persönlichkeit zu mögen, die ko m promisslose Ablehnung von leeren Phrasen oder falsch er Freundlichkeit. Es war merkw ü r dig, dass dies einherging mit einer fanatischen Anbetung der Anpassung an ein gesel l schaftlich vorgegebenes Schönheitsideal. Er fragte sich, ob ihr dieser Widerspruch bewusst war.
„Wissen Sie, was ich an Ihnen nicht verstehe?“ fragte er.
„Wie ich ohne Make-up so toll aussehen kann?“
„Dass Sie sich einerseits bemühen, eine eigenständige Persönlichkeit zu sein, die sich von allen anderen abhebt, und gleichzeitig nur das Ideal anstreben, dass vom Gros der Me n schen, zumindest in unseren Breitengraden, geteilt wird. Sie sind einerseits Rebellin und gleichzeitig Anführerin der Ko n formisten.“
„Ich weiß, was Sie meinen“, sagte sie und zeigte ihm, was sie mit der Zeitschrift gemacht hatte. „Sehen Sie, diese Frauen hier wollen alle perfekt sein, und die Blattmacher helfen ihnen, wo sie nur können, indem sie dieses retuschieren und jenes färben und solches hervorheben. Es heißt, es gibt dreieinhalb Milliarden Frauen, die nicht wie Supermodels aussehen, und nur acht, die es tun. Das ist aber nicht die Wahrheit. Es gibt überhaupt keine Frauen, die wie Supermodels aussehen. Sogar die müssen noch aufgebrezelt und digital nachbearbeitet we r den. Deshalb gehe ich gerne mit dem Stift durch und korrigi e re die offensichtlichsten Korrekturen. “
„Wenn Ihnen das klar ist , wieso machen Sie dann bei di e ser Manie noch mit?“
„Weil es richtig ist“, sagte sie ganz ruhig. „die Reaktion der meisten Frauen ist es, so zu tun, als wäre es ihnen egal, ob sie jemals auf ein Cover kommen. Aber die lügen, und zwar alle. Jede bedeutende Politikerin, jede anerkannte Wi s senschaftlerin und jede erfolgreiche Geschäftsfrau will für ihre Schönheit bewundert werden. Das ist keine neue Entwicklung, das ist schon immer so gewesen.“
„Macht es das richtig? Sollten wir dem nicht entwachsen?“
„Wie schön Sie manchmal formulieren“, lächelte sie z u ckersüß, „das macht mich ganz kribb e lig. Was Ihre Frage a n geht – nein! Wissen Sie, Kalokagathia bedeutet?“
„Hmmm... helfen Sie mir auf die Sprünge. Ist es ein ind i scher Cocktail?“
„Nein, Sie kleiner Witzbold. Hach, sind Sie süß. Sind Sie in festen Händen?“
Fabian war auf der Hut.
„Bin ich. Sehr fest, und sehr handlich.“
„Das könnte man auch über Ihren Hintern sagen“, und gab eine Lexikon-Beschreibung des Wortes ‚kokett‘ in Form eines Gesichtsausdrucks.
„Danke sehr.“
„Es ist üblich, ein Kompliment zu erwidern, Fabian.“
„Verzeihung. Sie haben sehr schöne Augen.“
„Ooooooch“, schmollte Agatha, „mehr fällt Ihnen nicht ein? Na gut, ich habe schöne Augen, aber das war lahm.“
„ Also fein. Ihre Beine sind wie goldene Rosensträucher im Herbstwind.“
Agatha lachte glockenhell, und auch Fabian fiel gutmütig mit ein. Die Frau schien wie verwandelt im Vergleich zu der narzisstischen Furie von vor zwei Tagen.
„Ihre Freundin muss eine ganz besonders tolle Frau sein“, meinte Agatha, „auch wenn ich nicht glaube, dass sie mit mir mithalten kann.“
„Kann sie.“
„Sind Sie sicher? Ich meine, vielleicht hatten Sie bislang nur wenig Vergleichsmaterial. Wenn Sie immer mit dieser ad i pösen Seekuh rumhängen...“
Sie sah seinen Gesichtsausdruck und korrigierte sich schnell.
„Verzeihung, das war nicht so gemeint. Also, es war so gemeint, ich geb’s zu, ich seh das nun mal so, aber ich wollte Sie nicht ärgern.“
Fabian wollte nicht drauf rumreiten. „Was meinten Sie vorhin?“
„Wie bitte?“
„Dieses komische Wort...“
„Oh ja. Kalokagathia. Es ist altgriechisch und bedeutet so viel wie die Kombination aus körperlicher und geistiger Pe r fektion.“
„Es klingt ein bisschen wie Ihr Name.“
„Agatha Kohler, Kalokagathia. Sehr gut aufgepasst. Sie wissen ja, dass das nicht mein ursprünglicher Name ist?“
„Ja“, sagte Fabian, „Sie haben ihn ändern lassen vor ein paar Jahren. Es war ein bisschen schwer, Ihre Vorgeschichte zusammenzutragen.“
„Das tut mir leid. Aber ich habe nichts zu verbergen, wie Sie sicher festgestellt haben.“
„Nein, Ihr Leben hat wenig Spektakuläres zu bieten. Geb o ren und aufgewachsen in Hamburg, die Eltern vermögend , Studium an der Freien Universität, allerdings viele verschied e ne Fächer ohne Abschluss...“
„Es gab einfach nichts für mich“, erklärte sie,
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