Schöne Leichen (Ein Lisa Becker Krimi) (German Edition)
Richtung Fandango , Lisa wied e rum begab sich an ihren Schreib tisch und rief die Psychologin an.
„Ich wünschte, ich könnte Ihnen mehr helfen“, erklärte Dr. Schwenk, „aber ich will wirklich keine von diesen selbste r nannten Experten sein, die sich für schlauer halten als die P o lizei. Ich gebe gerne Prognosen für inhaftierte Straftäter ab und schätze die Verhandlungsfähigkeit von Angeklagten ein, aber wenn der Täter unbekannt ist, kann ich eigentlich auch nur spekulieren. Wir Psychologen brauchen Rüstzeug, das heißt, Einblicke in die Kindheit, in die Sexualität, in etwaige Verhaltensauffälligkeiten.“
„Sind Morde keine Verhaltensauffälligkeit?“ fragte Lisa unnötig spitz. „Entschuldigung, ich wollte nicht nerven, es ist eine ziemlich stressige Situation.“
„Macht nichts. Sie haben natürlich Recht, ein bisschen was kann man schon ableiten. Am interessantesten finde ich, dass die Leichen so akribisch gereinigt wurden. War das auch beim dritten Mal der Fall?“
„Nein.“
„Das ist merkwürdig. Wenn jemand schon eine zwangha f te Persönlichkeitsstörung hat, dann kann er die nicht einfach abschütteln. Womöglich war dieser Mann tatsächlich der Täter bei den ersten beiden Malen, und wurde dann von jemand a n derem getötet, der nicht seine Obsessionen teilt.“
„Zwanghafte Persönlichkeitsstörung? Sie meinen, wenn sich einer hundertmal am T ag die Hände wäscht und fünf M i nuten braucht, um seine Haustür immer wieder auf- und z u zuschließen?“
Lisa hatte mal so einen Nachbarn gehabt, der um halb fünf morgens raus musste und dabei jedes Mal seine Tür ve r gewaltigt hatte, dass es im ganzen Haus schepperte. Oh, wie sie ihn gehasst hatte. Irgendwann hört das Verständnis auch mal auf.
„Nein“, erklärte Schwenk, „das sind Zwangsstörungen. Das wird oft verwechselt, ist aber was anderes. Menschen mit zwanghafter Persönlichkeitsstörung zeigen nicht grundsät z lich Zwangshandlungen. Im Grunde ist es auch keine Störung, nur ein Persönlichkeitsbild. Es geht mehr in Richtung... wie soll ich das erklären... Sie kennen den Begriff Kontrollfreak?“
„Jemand, der immer die Kontrolle an sich reißt, der nichts anderen überlassen kann, nicht wahr?“
„Ja. Hat Herr... Warburg war doch sein Name, oder?“
„Ja.“
„Hat er irgendeine Veranlagung in dieser Richtung g e zeigt?“
Lisa überlegte. „Er war sehr rigoros, wenn es um seine Kunst ging. Aber das sind wohl alle Künstler. Und er hat auf stur geschaltet, wenn man ihm zu sehr auf die Pelle rückte.“
„Das ist noch nicht klinisch relevant. Was ich meine ist, dass er die Leichen in einem einwandfreien Zustand hinterla s sen wollte. Es war ihm nicht egal, was mit seinen Opfern nach ihrem Tod geschah. Auch darum musste er sich kümmern. “
„Verstehe.“
„Die mangelnde Brutalität lässt darauf schließen, dass er die Opfer nicht aus persönlichen Motiven getötet hat. Es ging dabei wohl mehr um irgendeine abstrakte Wertvorstellung, die vollzogen werden musste. Die ersten beiden Opfer waren h o mosexuell?“
„Ja, das ist natürlich auch unser Gedanke“, sagte Lisa, „aber irgendwie ist mir das zu einfach. Ich hab Warburg gut genug kennengelernt, um ihn als sanftmütig einzustufen. Aus der Laien-Perspektive, sozusagen.“
„ Wie gesagt, man kann das nicht als psychische Störung bezeichnen. Man schätzt, dass etwa ein Prozent der Menschen unter die Kategorie zwanghafte Persönlichkeit fallen. Alle r ding s können diese Leute abdriften.“
„Abdriften?“
„Da kommen verschiedene äußere Einflüsse hinzu. Die Kindheit, wie immer, und die Art von Menschen, mit denen man Umgang pflegt. Das kann die Störung mindern, sie aber auch verstärken. Im schlimmsten Fall verwandelt man sich in eine Art selbsternannten Kreuzritter , dem einfach alles erlaubt ist, um sein hehres Ziel zu erreichen. Die ganze Zeit findet man das eigene Verhalten nicht nur völlig gerechtfertigt, so n dern auch absolut logisch und alternativlos. Im Prinzip reden wir jetzt von Faschismus im Kleinstformat. Da ist ein Prinzip, und das muss angestrebt werden, ohne Rücksicht auf Verlu s te.“
Irgendwie kam Lisa das bekannt vor.
„Kann man so was irgendwie äußerlich erkennen, ohne bei Ihnen studiert zu haben?“
„Da gibt es keinen Lackmustest. Aber wenn Sie mit j e mandem sprechen, der ständig auf einem bestimmten Thema rumreitet und teilweise absurde Meinungen dazu vertritt, ohne Widerspruch gelten zu
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