Schöne Ruinen
du das Zimmer für jemand anders?«
Obwohl er mit Alvis Benders baldiger Ankunft rechnete, erwiderte Pasquale rasch: »O nein. Ist niemand anders. Ganz für dich.«
Es war still. Kühl. Das Wasser gluckste.
»Was machen die dort draußen eigentlich genau?« Mit ihrer Zigarette deutete sie auf die Lichter, die über das Meer tanzten. Hinter dem Wellenbrecher ließen die Fischer die Laternen an den Bootsseiten herabbaumeln, um den Fischen eine falsche Morgendämmerung und damit die Gelegenheit zur Nahrungssuche vorzugaukeln. Sobald der wirbelnde Schwarm nach oben schwamm, schwenkten sie ihre Netze durchs Wasser.
»Sie fischen«, antwortete Pasquale.
»Mitten in der Nacht?«
»Manchmal in der Nacht. Aber mehr am Tag.« Pasquale beging den Fehler, in diese unendlichen Augen zu schauen. Noch nie war ihm so ein Gesicht begegnet, ein Gesicht, das aus jedem Blickwinkel so anders aussah – lang und pferdeartig von der Seite, offen und zart von vorn. War sie deswegen vielleicht Schauspielerin? Weil sie diese Fähigkeit besaß, mehr als ein Gesicht zu zeigen? Plötzlich merkte er, dass er sie anstarrte, und er musste sich räuspernd abwenden.
»Und die Lichter?«
Pasquale betrachtete das Wasser. Jetzt, da sie es erwähnt hatte, fiel ihm auf, dass es tatsächlich ein hinreißender Anblick war, wie die Fischerlaternen über ihren Spiegelungen auf dem dunklen Meer schwebten. »Für … ist …« Er suchte nach Worten. »Damit Fische … Sie … äh …« Er stieß gegen eine Mauer im Kopf und mimte mit der Hand einen zur Oberfläche schwimmenden Fisch. »Gehen hinauf.«
»Das Licht lockt die Fische an die Oberfläche?«
»Ja.« Pasquale war erleichtert. »Oberfläche. Ja.«
»Auf jeden Fall ist es wunderschön«, bekräftigte sie noch einmal. Von hinten hörte Pasquale leises Getuschel und dann ein »Schsch« aus dem Fenster bei der Terrasse, hinter dem Pasquales Mutter und Tante offenbar zusammengekauert im Dunkeln ein Gespräch belauschten, von dem sie kein Wort verstanden.
Neben Dee Moray streckte sich eine verwilderte Katze, die böse Schwarze mit dem schlechten Auge. Als die Schauspie lerin nach ihr fasste, fauchte sie, und Dee zog schnell die Hand zurück. Dann starrte sie auf die Zigarette in ihrer anderen Hand und lachte.
Pasquale glaubte, dass sie über seine Zigaretten lachte. »Sind sie teuer.« Er klang gekränkt. »Spanisch.«
Sie warf ihr Haar zurück. »O nein. Ich musste nur daran denken, wie die Leute manchmal einfach rumsitzen und darauf warten, dass ihr Leben endlich anfängt. Wie ein Film. Verstehst du, was ich meine?«
»Ja.« In Wirklichkeit hatte Pasquale nach rumsitzen nicht mehr viel begriffen, doch er war so fasziniert vom Schwung ihres blonden Haars und ihrem vertraulichen Ton, dass er sogar zugestimmt hätte, wenn man ihm die Fingernägel ausgerissen und zu fressen gegeben hätte.
Sie lächelte. »Nicht wahr? Ich hab mich auch immer so gefühlt. Jahrelang. Als wäre ich eine Figur in einem Film und es könnte jeden Moment losgehen mit der Handlung. Aber ich glaube, manche Leute warten ewig, und erst am Ende ihres Lebens merken sie, dass es vorbeigegangen ist, während sie darauf gewartet haben, dass es anfängt. Weißt du, was ich meine, Pasquale?«
Und ob er wusste, was sie meinte! Genauso fühlte er sich auch – wie jemand in einem Kino, der auf den Anfang des Films wartete. »Ja!«
»Wirklich?« Sie lachte. »Und wenn das Leben dann anfängt … Ich meine, der aufregende Teil, die Handlung. Dann geht es auf einmal ganz schnell.« Ihre Augen forschten in seinem Gesicht, bis er errötete. »Vielleicht kann man es gar nicht glauben … man sieht von außen zu, als würde man Fremde beim Essen in einem feinen Restaurant beobachten.«
Jetzt hatte er wieder den Anschluss verloren. Trotzdem sagte er: »Ja, ja.«
Sie lachte unbekümmert. »Freut mich, dass du das so gut verstehst. Stell dir vor, wie es zum Beispiel für eine Kleinstadtschauspielerin ist, die nach Arbeit beim Film sucht und plötzlich ihre erste Rolle in Cleopatra kriegt! Würdest du so was glauben?«
»Ja.« Pasquale fasste wieder Mut, weil er das Wort Cleopatra gehört hatte.
»Wirklich?« Sie kicherte. »Na, für mich war es jedenfalls unglaublich.«
Pasquale zog eine Grimasse, weil er falsch geantwortet hatte. Er probierte es mit »Nein«.
»Ich komme aus einem kleinen Nest in Washington.« Sie gestikulierte mit ihrer Zigarette. »Obwohl, ganz so klein auch wieder nicht. Aber so klein, dass ich dort eine große
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