Schöne Zeit der jungen Liebe
Kopf getätschelt hat.
»Ja, tu das«, ermunterte ihn May. »Schlechte Manieren dulde ich nicht. Außerdem haben wir Gäste.« Sie wandte sich Christine zu. »Ausgerechnet bei Ihrer letzten Mahlzeit mit uns.«
»Das macht nichts«, sagte Christine. »In Deutschland spricht man auch viel vom Zerfall der elterlichen Autorität.«
»Letzte Mahlzeit?« fragte Opa, der die Angewohnheit hatte, immer die vorletzte Bemerkung noch einmal aufzugreifen, was die anderen oft irritierte.
»Miß Haldt hat sich entschlossen, abzureisen«, erklärte May und fügte in Gedanken hinzu: Ich kann nicht sagen, daß es mir leid tut. Zerfall der elterlichen Autorität - das war nun wirklich die Höhe.
»Liebe Miß Haldt, können wir Sie denn nicht überreden...« Opa hatte sich schon auf das nächste und übernächste von einem bayerischen Dirndl servierte Frühstück gefreut.
Gaylord lief rot an. »Also, ich finde es unerhört, Christine zurückzuschicken, nur weil du plötzlich deine Meinung geändert hast und kein Au-pair-Mädchen mehr haben willst.«
»Mein lieber Gaylord, in zehn Jahren kann sich so manches ändern.«
»Ich wüßte nicht wieso«, erwiderte er patzig.
»Red nicht in diesem Ton mit deiner Mutter!« befahl Jocelyn energisch und hoffte auf einen weiteren respektvollen Blick von Christine.
Gaylord saß da mit finster gerunzelter Stirn.
»Du benimmst dich wie ein Siebenjähriger«, sagte May. Wenn Gaylord schlechter Laune war, hatte es keinen Zweck, länger mit ihm zu reden. Sie wandte sich ihrem anderen Gast zu. »Charles, es ist so herrlich draußen. Viel zu schön zum Drinnensitzen. Kannst du mich nicht auch draußen malen?« (Draußen würde sie sich sicherer fühlen.)
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Zunächst einmal wegen des Lichts.«
»Wieso? Leonardo hat draußen gemalt. Die Mona Lisa sieht aus, als ob sie an einem Berghang säße.«
»Du hast keine Ahnung, wie ein Maler arbeitet«, sagte er mürrisch. »Das merkt man sofort.«
Sie sah, sie mußte die Taktik ändern. »Charles, bitte. Ich bin so ungern drinnen, wenn ich draußen sein könnte.«
»Na schön, meinetwegen«, sagte er widerwillig.
»Fein. Vielen Dank, Charles. Das ist lieb von dir.« Ein bezauberndes Lächeln belohnte ihn. »Also gut. Ich muß nur noch schnell das Geschirr spülen und ein bißchen Farbe in mein Gesicht bringen, dann bin ich soweit.«
Er war entsetzt. »Um Gottes willen - bloß keine Schminke! Ich will dich ganz natürlich haben, ohne alles.«
»Mit Schminke - oder gar nicht. Au naturel sehe ich wie neunzig aus.«
»Blödsinn!«
»Das ist doch die Wahrheit, nicht, Jocelyn?«
»Was denn, mein Herz?«
»Ach, nichts. Schon gut.«
»Ich werde das Geschirr spülen, Mrs. Pentecost, dann können Sie sich schon zurechtmachen«, erbot sich Christine.
»Ich helfe Ihnen, Miß Haldt«, sagte Charles.
»Ich auch«, sagte Gaylord.
Christine sah die beiden strahlend an. »Ich werde Ihnen zeigen, wie wir in Deutschland Geschirr spülen«, sagte sie eifrig. »Hier in England haben Sie das sicherlich nicht so gut organisiert.«
»Fein, dann werden wir was lernen«, sagte Charles.
In diesem Moment flog die Tür auf, und Amanda kam herein, Arm in Arm mit Roger Miles.
Von ihrem Platz bei Tisch hatte Amanda weit entfernt auf der Straße am Fluß seine Gestalt erkannt, und so war sie hinausgestürzt und ihm mit fliegenden Haaren und ausgebreiteten Armen entgegengerannt, schneller, immer schneller. Roger hatte anhalten müssen, und sie hatte sich ihm selig in die Arme geworfen. »Roger! Miß Haldt ist bei uns, Gaylord ist ganz verknallt in sie! Nimmst du mich auf den Lenker?«
Er hob sie hoch und fuhr weiter. Sie sah ihm in die Augen. »Ich hab dich furchtbar lieb, Roger. Du wartest doch auf mich, nicht?«
»Na klar.«
»Ich weiß, jetzt bist du natürlich viel älter als ich,
aber wenn ich achtzig bin, bist du erst siebenundachtzig. Los, fahr mal so schnell, wie du kannst.«
Er legte sich in die Pedale, und sie jagten dahin. Himmlisch, wenn die Straße so vorbeisauste und man sich dabei an Rogers starkem Arm festhalten konnte.
»Miß Haldt will nach Hause, hat sie gesagt. Ich glaube, sie mag uns nicht besonders.«
»Warum denn nicht?« Es war ihm noch nie in den Sinn gekommen, daß es Leute geben konnte, die den englischen Mittelstand nicht mochten. Es war eine Klasse von großem natürlichem Charme, auch im Umgang mit Vertretern anderer Klassen oder anderer Völker. War man nicht stets, der Tradition gehorchend, bemüht,
Weitere Kostenlose Bücher