Schöne Zeit der jungen Liebe
war. Dann ging sie ins Haus. Ihr Vater war noch nicht zurück. Sie machte sich Spiegeleier mit Schinken, und nachdem sie gegessen hatte, ging sie in ihr Zimmer hinauf und weinte.
Nach Christines Abreise war May im Grunde froh und erleichtert, daß sie nun alles wieder selber machen konnte und so, wie sie es gewohnt war. Es war so viel einfacher! Sorgen machte ihr nur Gaylord, der immer blasser wurde.
Und auch Charles wegen war sie noch nicht ganz beruhigt. Sie wollte ihn gern sehen, mit ihm sprechen. Die Porträtsitzungen waren eine wunderbare Unterbrechung des Alltags gewesen. Einfach still sitzen, seine Gesellschaft genießen, wenig sprechen und im Herzen das Gefühl einer Freundschaft, so warm und süß wie die langen Sommernachmittage... (Ja, warm und süß, ein Gefühl, das sie erfüllte und glücklich machte. Aber war Freundschaft das richtige Wort? Diese Frage wollte sie sich lieber nicht stellen.)
Seit Jocelyns Ausbruch hatte sie nichts mehr von Charles gehört. Was sollte sie tun? Ihn anrufen? Sie hätte es gern getan. Aber Jocelyn war jetzt so empfindlich und mißtrauisch in allem, was Charles betraf. Eines Tages, als sie nach dem Lunch ihren Kaffee draußen auf dem Rasen tranken, sagte May: »Liebling, meinst du nicht, du solltest Charles mal anrufen? Wir haben ewig nichts von ihm gehört.«
»Ach, ich weiß nicht, May. An dem Abend, als wir da zusammensaßen und tranken, da war ja alles wieder in Ordnung. Aber wenn er nun so gar nichts von sich hören läßt
Sie verstand. Er wollte nicht. Sie meinte: »Je länger wir es aufschieben, um so schwieriger wird es.«
»Ja, es ist ein Problem.«
Sie wartete. Vielleicht kam ja doch noch eine etwas positivere Antwort. Aber es kam nichts. »Wär’s dir lieber, wenn wir nicht versuchten, die alte Freundschaft zu reparieren, und alles laufen ließen, wie es kommt?«
»Großer Gott, nein, das natürlich nicht. Wir sind seit Jahren gute Freunde!«
»Ja, ich wollte es ja auch nur wissen«, sagte sie. »Du hast ihm ja ganz schön zugesetzt. Ich hatte regelrecht Angst
Das hörte Jocelyn gern. Natürlich wollte er nicht, daß irgend jemand Angst vor ihm hatte. Aber es war vielleicht nicht so falsch, den anderen gelegentlich zu zeigen, daß man ernst zu nehmen war und daß sie mit einem zu rechnen hatten. Er sagte: »Hör zu, May, ruf du doch Charles an. Sag ihm, er soll zum Abendessen
kommen. Und falls er sich anstellt, sag ihm, er soll nicht albern sein.«
Sie sah ihn zweifelnd an. »Also gut, wenn dir das wirklich recht ist
»Aber natürlich.«
Charles war selber am Telefon.
»Hallo, Charles«, sagte May. »Wie geht’s? Du bist also nicht ausgewandert.«
»Ah, hallo, May. Nein, immer noch in der alten Heimat, was mich teuer zu stehen kommt: dreiundachtzig Prozent Steuern!«
Es klang munter und gut gelaunt, aber sie war sich nicht ganz sicher, ob er sie richtig verstanden hatte. »Ich wollte sagen, wir haben dich eine Ewigkeit nicht gesehen.«
»Ja, stimmt. Tut mir leid. Aber ich ersticke mal wieder in Arbeit.«
»Willst du nicht mal mit Liz zum Abendessen kommen? Ehe Gaylord wieder ins Internat muß?«
Irgend etwas war da nicht in Ordnung, sie hatte es gleich gewußt. Sie hatte ein ungutes Gefühl im Magen. »Du, Charles?«
»Ja, May?«
»Es ist doch nichts? Du bist uns doch hoffentlich nicht böse?«
»Nein, woher denn! Warum sollte ich?«
»Na ja, ich hab dir ja ziemlich kräftig eine gelangt. Und Jocelyn - aber er hat nun eben manchmal diese Anfälle von Atavismus.«
»Nein, nein, ihr seid immer noch meine besten Freunde. Wir sehen uns demnächst.«
»Jederzeit, Charles. Das weißt du ja.«
Niedergeschlagen legte sie den Hörer auf. Sie hatten einen alten Freund gekränkt, einen Mann, der wegen seiner Empfindlichkeit und Eigenwilligkeit nicht leicht Freundschaft schloß! Gewiß, er hätte sie nicht küssen sollen. Aber sie und Jocelyn hätten auch nicht so heftig zu reagieren brauchen. Und wenn er sie wirklich liebte, dann mußte der Arme ja eine scheußliche Zeit durchgemacht haben.
Immerhin, er schien ganz munter zu sein. Und sogar ein bißchen amüsiert. Fast, als ob er froh sei, eine etwas lästige Beziehung los zu sein, und das demonstrieren wollte. Oh, er war oft grob mit ihr umgegangen. So war er nun einmal. Aber heute war er nicht grob gewesen. Er war freundlich gewesen und gut gelaunt. Und doch kam sie sich irgendwie zurückgewiesen vor. Und von dem Porträt hatte er mit keinem Wort etwas gesagt. Das machte natürlich
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