Schoener Schlaf
mystische Symbolsprache gegeben, die die Vergänglichkeit des Seins ausdrücken sollte: dünnwandige Weingläser, aufgeplatzte Kastanien und zerbröseltes Zuckerzeug.
Hans hatte ihr anhand dieses Bildes vor Augen geführt, wie die Maler das Licht eingesetzt hatten, um bestimmten Accessoires eine besondere Aufmerksamkeit zu verschaffen.
Sie beschloss, Hans nicht mehr Onkel zu nennen, sondern nur noch mit seinem Vornamen anzusprechen. Für einen âºOnkelâ¹ fühlte sie sich zu alt.
Kapitel 11
Am folgenden Vormittag suchte Kant erneut den Direktor der Kunsthalle auf.
»Warum haben Sie das Foto nicht herumgezeigt?«, fragte er. »Sie hatten mir doch Hilfe versprochen.«
Sucher sah Kant überrascht an. Einen solchen Ton war er nicht gewöhnt. »Ich hatte noch keine Zeit dazu. Und ich bin kein Hilfsbüttel der Polizei.«
»Schon gut«, lenkte Kant ein. »Inzwischen hat mein Kollege die Sache ja erledigt. Die Tote war eine Zeit lang eine emsige Besucherin Ihrer Einrichtung. Merkwürdig, oder?«
»Wieso merkwürdig?«
»Dass Sie das nicht gewusst haben.«
Sucher lachte. »Sie haben keine Ahnung von meinem Job, Herr Hauptkommissar. Ich habe mit Bildern und Organisation zu tun und nicht mit Besuchern. Was habe ich sonst noch falsch gemacht?«
»Maja Schneider hatte â auÃer Gemälden â ein zweites Hobby: Sie spielte an einer Laienbühne Theater. An der Freilichtbühne hier in Rheinburg. Fällt Ihnen dazu etwas ein?«
Sucher grinste. Dieser Polizist war wirklich durchschaubar. »Ich bin im Vorstand des Trägervereins. Falls Sie das meinen!«
»Ja, das meine ich. Merkwürdiger Zufall, finde ich.«
»Lieber Herr Hauptkommissar. Ich bin auch Mitglied im Jüdischen Kulturverein, in der SPD und im Förderverein einer Mission, die sich um minderjährige Zwangsprostituierte kümmert. War Frau Schneider in diesen Vereinen ebenfalls aktiv? Haben Sie das schon überprüfen lassen?«
Ich bin schlecht, dachte Kant, Heidi Busch hätte das besser gemacht. »Was ich wissen will ist, ob Sie Maja Schneider nicht doch gekannt haben. Entgegen Ihrer ersten Aussage.«
»Hat denn jemand gesagt, dass ich sie kannte, Herr Hauptkommissar?«
»Nein«, gab Kant zu.
»Dann ist ja alles geklärt.«
Verärgert über sich selbst, verlieà Kant die Kunsthalle.
*
Rechtsanwalt Matt Turner hatte sich entschieden: Wenn seine Kanzlei in drei Monaten immer noch nicht lief, würde er endgültig dichtmachen und sich arbeitslos melden.
Die Mittagspause verbrachte Turner nun regelmäÃig in den Kantinen von Amts- und Landgericht â bekleidet mit seinem Talar, als hätte er eine oder mehrere Verhandlungen hinter sich gebracht oder noch vor sich. Das war zwar unwürdig, doch so konnte er sich bei seinen Kollegen in Erinnerung bringen. Vielleicht ergab sich ja in einem Gespräch die Möglichkeit, in einer anderen Kanzlei als Angestellter anzufangen.
Das Stammessen im Amtsgericht war heute Arme Ritter. Das passt ja, dachte Turner. Er setzte sich und griff nach der Zeitung auf dem Tisch.
Das Boulevardblatt hatte noch immer den Mord an Maja auf der ersten Seite. Der aufdringliche Reporter schien eine Spur gefunden zu haben, die das rote Kleid betraf. Turner schob seinen Teller zur Seite.
Die Informationen in dem Artikel waren ihm neu. Maja hatte also wirklich geschauspielert. Der Reporter spekulierte, dass das auffällige Kostüm zu dem Molière-Stück passte. Auch Majas Bekanntschaft mit der Schneiderin war ihm neu.
Schaumkuss erwähnte einen Neffen der alten Frau, der im Dorf nicht sehr beliebt zu sein schien. Ein gut betuchter älterer, verschrobener Herr â so stand es in dem Artikel. Der wickelte laut Bericht den Nachlass ab und war dabei, die Kostümwerkstatt aufzulösen. Der Name des Neffen sprang Turner an: Leon F.
Leon! Maja hatte mit einem Mann namens Leon telefoniert! Wie hatte er das nur vergessen können?
Es war kurz nach ihrer Trennung gewesen. Sie war vorbeigekommen, um noch ein paar Sachen abzuholen. Ihr Handy hatte geklingelt und sie hatte ihre weiche Verführ-Stimme aktiviert.
»Hast du schon einen Neuen?«, hatte Turner nach Ende des Telefonats gefragt â ziemlich verletzt.
Doch Maja hatte nur geheimnisvoll gelächelt. »Das war nur Leon. Er hilft mir und beschützt mich.«
Den Kerl gucke ich mir mal näher an, dachte der
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