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Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Titel: Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoît B. Mandelbrot
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ist. Ich werde diese Anfrage mit dem größten Vergnügen genehmigen und weise Sie ausdrücklich darauf hin, dass wir die Differenz zwischen der Bezahlung bei IBM und den Universitätsgehältern selbstverständlich ausgleichen.« – »Ich hatte bisher noch nicht die Gelegenheit, Ihnen zu sagen, dass ich in Wirtschaftswissenschaften unterrichten werde.« – »Oh! Ich hätte eher Statistik oder angewandte Mathematik erwartet, aber das ist auch in Ordnung. Was jedoch wichtiger ist: Haben Sie die Universität, die Sie einlädt, schon genannt?« – »Oh, das tut mir sehr leid. Das hätte ich als Erstes sagen sollen. Die Einladung kommt von Harvard, und das Angebot liegt über meinem aktuellen Gehalt bei IBM.« In diesem Augenblick wurde mein Direktor sehr aufgeregt und griff nach einer Pillendose.

Harvard ruft und IBM wird auf mich aufmerksam
    Wäre der »Status bei IBM« eine exakt messbare Größe gewesen, hätte meiner sofort einen Satz nach oben gemacht und sich von »ziemlich weit unter dem Radar« auf »ziemlich sichtbar auf ihm« verändert. Dort blieb er von da an. Der Sprung selbst war weit wichtiger als die sofortige Gehaltserhöhung von deutlich unter dem Standard auf knapp darüber.
    Beurlaubungen wurden zum festen Bestandteil eines fortwährenden Arrangements. Dass IBM solche akademischen Unterbrechungen genehmigte, war neu; Außenstehende sahen verständnislos zu, wie Industrielabore aufkamen und verschwanden, und fragten sich ständig, wie dauerhaft meine Position sein mochte. Ich fragte mich das auch, überlegte mir aber, dass ein riesiger und schnell wachsender Computerhersteller grundsätzlich auf Forschung an vorderster Front angewiesen sei.
    Lange Zeit verdrängte ich die Tatsache, dass IBM nicht die akademische Beschäftigungsgarantie bot, wie sie mit einer Professur auf Lebenszeit verbunden ist. Keinen Augenblick lang vergaß ich aber, dass ein Fahrrad nur so lange nicht umkippt, wie es hinreichend schnell vorankommt. Pedantischer gesagt, ich unterschied klar zwischen der durch eine Professur gebotenen statischen Stabilität und einer anderen, dynamischen Form der Stabilität, die behelfsmäßig, unvorhersehbar und ständig durch Vorgaben sowohl von IBM als auch aus der Außenwelt beeinflusst war.
    Beginnend mit dem Tag im Jahr 1962, an dem ich Herman Goldstine über meine erste »Berufung« nach Harvard informierte, wurden zwei Dinge immer deutlicher. Einladungen von Institutionen außerhalb stärkten meine Position innerhalb, und meine Anziehungskraft für Außenstehende konnte nicht als sicher gelten. Ich wurde sehr empfänglich für die Frage: »Was haben Sie in letzter Zeit für unser Wissenschaftsgebiet getan?« Deshalb sollte meine Akte tunlichst ständig um auffällige neue Leistungen erweitert werden. Jeder Besuch in einer Ecke der akademischen Welt trug dazu bei, und das in einer Weise, die weder IBM noch andere Ecken der Wissenschaften bieten konnten. Doch am besten war es, meinen »Innovationshochofen« bei IBM zu heizen.
    So kam es, dass sich Zeiten bei IBM und Zeiten in Cambridge oder an anderen Orten abwechselten, woraus sich langsam eine Ordnung ergab. Unterschiedliche Arbeiten wurden zu Aspekten eines übergreifenden Ganzen umgeformt – zu einer fraktalen Geometrie der Rauheit. Was dann an gesellschaftlichen Tiefen und intellektuellen Höhen folgte, war einfach nicht vorherzusehen.

Wie ich dazu kam, Preisänderungen zu untersuchen
    Ich möchte hier kurz unterbrechen und erzählen, wie es zu meiner Faszination für Preisänderungen kam – der Gegenstand war für mich völlig neu. Den Hintergrund bildete eine frühere Arbeit über ein altes Thema – das Gesetz zur Verteilung privater Einkommen, das Vilfredo Pareto (1848–1923) in den 1890er-Jahren entdeckt hatte. Dieses Gesetz – und meine Arbeit – hatte ein paar Wirtschaftswissenschaftler neugierig gemacht, und so lud man mich ein, bei einem von Professor Hendrick »Hank« S. Houthakker (1924–2008) geleiteten Seminar einen Vortrag zu halten.
    Bei der Ankunft im Büro meines Gastgebers stieß ich auf etwas Überraschendes, was diesen Tag für mich unvergesslich macht. Ein merkwürdiges Diagramm auf seiner Tafel schien mir fast identisch mit einer Grafik zu sein, die ich bei meinem Vortrag zeichnen wollte! Wie kann es sein, fragte ich, dass etwas zum Thema privater Einkommen, was ich gerade erst entdeckt habe, schon öffentlich vorgestellt wird? Er sah mich verständnislos an. »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen.

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