Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)
Dieses Diagramm bezieht sich auf Baumwollpreise.« Vor meiner Ankunft hatte er mit einem Studenten gearbeitet, und die Tafel war noch nicht abgewischt worden.
Warum sollte die Art und Weise, in der sich Reichtum in der Gesellschaft verteilt, etwas mit dem Auf und Ab des Baumwollpreises zu tun haben? Warum sollten beide Fälle das gleiche Muster aus konkaven und konvexen Strukturen aufweisen? Konnte das auf eine tiefere Verbindung zwischen diesen beiden Aspekten der Wirtschaft hinweisen – auf eine verrückte Wahrheit hinter den Tabellen? Die Mainstream-Ökonomen hatten damals die alte Bachelier-Hypothese von 1900 wiederentdeckt, wonach Preise sich ändern sollten, als wären sie durch Münzwürfe ermittelt worden. Sie suchten nach Belegen, doch es war schwierig, verlässliche historische Aufzeichnungen zu bekommen. Baumwolle jedoch war eine Ausnahme. Für mehr als ein Jahrhundert hatte die New York Cotton Exchange exakte Preisdaten aufgezeichnet, während das lebenswichtige Handelsgut von den Plantagen des alten Südens in die düsteren Spinnereien des industrialisierten Nordens transportiert wurde. Praktisch der gesamte Handel zwischen den Staaten war an einer Börse zentralisiert worden. Für einen Ökonomen hätte das ein Traum sein müssen, doch für Houthakker und seine Studenten erwies es sich als Albtraum. Es gab bei Weitem zu viele große Preissprünge nach oben wie nach unten. Und die Volatilität verschob sich im Lauf der Zeit. In manchen Jahren waren die Preise stabil, in anderen schwankten sie wild. »Wir haben alles getan, um diesen Baumwollpreisen einen Sinn abzugewinnen. Alles verändert sich, nichts ist konstant. Es ist ein Durcheinander der schlimmsten Sorte.« Nichts war imstande, die Daten mit dem erstmals 1900 vorgeschlagenen statistischen Modell in Übereinstimmung zu bringen; dieses Modell ging davon aus, dass die Preisänderung jedes einzelnen Tages nicht von der vorherigen Änderung abhing und sich an das milde Zufallsmuster hielt, das die Glockenkurve vorhersagte.
Gleich darauf schlossen wir einen Handel ab: Ich würde sehen, was ich tun konnte. Er überreichte mir Kartons mit den auf Lochkarten gespeicherten Daten. »Wenn Sie etwas Sinnvolles damit anstellen können, viel Glück, und lassen Sie mich wissen, was Sie herausfinden.«
Bei IBM stellte mir das Computerzentrum einen Programmierer zur Verfügung, der diese Aufzeichnungen auf die gleiche Weise analysieren sollte, wie das für die Einkommensverteilung geschehen war. Wie viele große Preissprünge, wie viele kleine? In der Wartezeit – die Sache zog sich hin, weil ich auf der Prioritätenliste weit unten stand – nahm ich den Zug nach Manhattan, wo damals das National Bureau of Economic Research zu Hause war. In seiner Bibliothek gab es viele staubige Bücher voller Tabellen mit Finanzdaten – vor dem Computerzeitalter ein Schatz. Später erhielt ich noch Berichte, die das Landwirtschaftsministerium in Washington, D.C., gesammelt hatte. Ich trug alle verfügbaren Daten zusammen und erstellte eine Enzyklopädie der täglichen, wöchentlichen, monatlichen und jährlichen Baumwollpreise – über mehr als ein Jahrhundert hinweg.
Was ich mithilfe des Computers herausfand, war außergewöhnlich. Houthakkers Sicht wurde bestätigt: Die Preisänderungen von einem Tag auf den anderen, einer Woche, einem Monat oder einem Jahr auf den folgenden Zeitabschnitt verhielten sich nicht so, wie das Modell von 1900 unterstellte. Die Varianz benahm sich daneben. Jedes Mal, wenn ich eine Preisänderung zum Datensatz hinzunahm, veränderte sich meine Schätzung der Varianz. Der Wert pendelte sich nie auf eine einfache Volatilitätszahl ein, sondern schwankte erratisch. Wenn man unterstellte, dass die Daten selbst unangreifbar waren, war das eine Überraschung. Außerdem gab es zu viele große Preissprünge, die nicht mit der Glockenkurve in Einklang zu bringen waren.
Zwei Anschauungen zu Preisvariationen
Wie verändern sich Preise auf organisierten Märkten wie Börsen und Warenterminbörsen?
Für Jahrhunderte florierten diese Märkte ohne die Unterstützung eines systematischen mathematischen Modells. Das erste Modell dieser Art wurde 1900 von Louis Bachelier (1870–1946) vorgestellt – einem Außenseiter der französischen Mathematik. Es kam erstaunlich früh – seiner Zeit ein ganzes Stück voraus – und war in der Tat eigenartig. Es wurde zum Standardmodell des Finanzwesens, und Houthakker hatte es auf die Baumwollpreise angewandt. Das
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