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Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Titel: Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoît B. Mandelbrot
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Modell war auf seinem Gebiet fortschrittlich, aber durch keinerlei empirische Daten gestützt. Zunächst zog es kaum Aufmerksamkeit auf sich, aber im Lauf der Zeit wurde es durch zwei Ereignisse wiederbelebt. Auf der Seite der Theorie war es Norbert Wiener, der es um 1920 als Modell für ein bedeutsames Phänomen namens Brown’sche Bewegung wiederentdeckte. Das Modell wurde in den 1930er- und 1940er-Jahren stärker ausgearbeitet. Auf der konkreten Seite war es der in den 1960er-Jahren aufkommende Computer, der die Untersuchung sowohl der Daten als auch der Theorie möglich machte.
    Dank des Computers konnte ich die Fehler in Bacheliers Modell in einem grob skizzierten Bericht festhalten, den ich 1962 verfasste, und eine Gegentheorie vorlegen, die ohne eine Formel ausgedrückt werden konnte. Und dieser Bericht führte 1963 zu meinem ersten Artikel zu diesem Gebiet: »The Variation of Certain Speculative Prices« (Die Änderungen bestimmter spekulativer Preise) sollte in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur noch häufig zitiert werden. Die alte Theorie von 1900 ging davon aus, dass Preissprünge vernachlässigt werden können – mathematisch ausgedrückt »variieren Preise kontinuierlich« – und dass Preisänderungen sowohl im Aufschwung als auch in der Depression denselben Regeln gehorchen. Viele gut dokumentierte Belege, die dieser Theorie widersprachen, machten häufige und große »Reparaturen« ad hoc notwendig. Meine Gegentheorie von 1962 ließ Diskontinuitäten zu und wurde später dahingehend erweitert, dass auch sich abwechselnde Perioden von Aufschwung und Rezession zugelassen waren.
    Alle Preistabellen sehen ähnlich aus. Sicher, einige verlaufen aufwärts, andere abwärts. Aber täglich, monatlich oder jährlich sehen sie insgesamt nicht sehr verschieden aus. Sobald man die Daten und Preisangaben entfernt, kann man nicht mehr angeben, welche was darstellt. Sie bieten alle ein ähnliches Zackenmuster. »Zackenmuster« ist nicht gerade ein wissenschaftlicher Ausdruck, und bevor ich Jahre später die fraktale Geometrie entwickelt hatte, existierte keine gute Möglichkeit, einen so verschwommenen Begriff zu quantifizieren. Aber genau das können wir inzwischen in den Baumwolldaten erkennen: ein fraktales Muster. Hier wird die fraktale Skalierung nicht auf eine Gestalt wie beispielsweise die Röschen eines Blumenkohls angewandt, sondern auf eine andere Art von Struktur – auf die Art, in der Preise schwanken.
    Finanzgeschäfte sind grundsätzlich von fraktaler Natur. So schließt sich der Kreis. Es war keine bloße Koinzidenz, dass Houthakkers Baumwolldaten wie meine Einkommenstabellen aussahen. Die mathematischen Grundlagen waren die gleichen.
    Leider scheiterten meine sorgfältigen Tests, mit denen Bachelier 1963 in die Luft gejagt werden sollte. Die Ökonomen kamen zu dem Schluss, meine Arbeit sei zu kompliziert und zu ungewöhnlich. Der Aufbruch, für den sie stand und den sie weiterhin beschwor, war schwer in Gang zu bringen und zu verkaufen. Es schien weit einfacher zu sein, mit einem endlosen Strom von »Reparaturen« weiterzumachen. Was konnte ich tun? Ich verlegte mich auf gänzlich andere »vorrangige Interessen« und kam nur noch gelegentlich auf Preisänderungen zurück. Die Finanztheorie von 1900, die ich in Misskredit gebracht hatte, hat sich gehalten und zieht viele junge Mathematiker und Wissenschaftler an, was den Gebieten, aus denen sie kommen, Kräfte entzieht.
    Und dann – vielleicht ein wenig später als erwartet – vollbrachte der Markt 2008, was ihm bestimmt war: Er brach zusammen.

Kepler versus Ptolemäus
    Bacheliers Modell der Preisänderungen von 1900 und meines von 1963 waren die beiden ersten, die vorgelegt wurden, und sie sind die Hauptdarsteller der Ereignisse, die gleich vorgestellt werden. Ist das Thema dazu verurteilt, auf ewig in Begriffen dieses Gegensatzes behandelt zu werden? Ich fürchte, ja, und möchte – in aller Bescheidenheit – erklären, warum das so ist, indem ich zum Vergleich ein entscheidendes Ereignis der Wissenschaft heranziehe: den Ersatz der falschen, aus der Antike stammenden Erklärung für die Planetenbahnen durch Keplers Ellipsen. Das Modell des Ptolemäus behauptete, die Planeten würden sich in Kreisbahnen um die Erde bewegen. Er musste jedoch ständig nachbessern, wenn er Anomalien beobachtete. Diese Überzeugung hielt sich weithin bis etwa 1600, als Kepler bewies, dass die Planeten auf einer elliptischen Bahn um die Sonne zogen.

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