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Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Titel: Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoît B. Mandelbrot
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Zeitschriften mit zeitlosen Namen wie Philosophies und L’Esprit , aber auch La Revue Marxiste. Wir beide diskutierten nie über Marxismus, er erinnerte sich jedoch an schreckliche Geschichten über die UdSSR. Einige seiner Freunde wollten hingegen unbedingt eine radikale Politik betreiben und kamen während des Kriegs um: so zum Beispiel Georges Politzer, der zum prosowjetischen kommunistischen Führer geworden war, oder Paul Nizan, den es in den Kreis um Jean-Paul Sartre (1905–1980) gezogen hatte. Ein weiterer Freund war der Philosoph Jean Wahl (1888–1974), eine spätere Stütze der Sorbonne. Szolems literarische Freunde waren die Vorläufer der Gruppe um Jean-Paul Sartre, die nach 1945 unter der Bezeichnung Existenzialisten viel bekannter werden sollte. Perioden intellektueller Gärung vereinen Aristokraten und mittellose Immigranten.

Intellektuelle Dynastien
    Als Hadamard Szolem als jungen Schützling übernahm, war seine Tochter Jacqueline im passenden Alter und unverheiratet. Deshalb verstieß Szolems Hochzeit mit Gladys Grunwald gegen einen eingeführten Brauch.
    Der Vorsitzende von Szolems Prüfungskomitee bei der Promotion, Émile Picard (1856–1941), hatte die Tochter seines brillanten Mentors Charles Hermite (1822–1901) geheiratet, der seinerseits in die Familie seines Mentors Joseph Bertrand (1822–1900) eingeheiratet hatte. Mithilfe familiärer Verbindungen dirigierten diese Persönlichkeiten von durchaus unterschiedlichen Leistungsniveaus die Aktivitäten innerhalb der französischen Mathematikergemeinde über viele Generationen hinweg. Gladys, die schon sehr jung Waise geworden war, gewöhnte sich daran, dass man sich nach der Gesundheit ihres Vaters erkundigte, und antwortete dann, Monsieur Hadamard gehe es gut, oder auch, er habe eine Grippe.
    Der geschilderte gesellschaftliche Brauch hielt sich hartnäckig. Ein Blick in die Zukunft: Er weckte bei manchen die Erwartung, ich würde Hadamards Enkelin oder vielleicht auch Paul Lévys Großnichte heiraten. Auch die Ehemaligen der von mir besuchten Hochschule hielten regelmäßige Tanzveranstaltungen ab, um ihre Töchter bei vielversprechenden Neulingen einzuführen. Ich nahm einmal an diesem Markt teil, entschied mich aber dafür, Szolems Beispiel der »Exogamie« zu folgen, und heiratete Aliette. Wie so viele andere gesellschaftliche Bräuche konnte man auch diesen verschmähen, doch das hatte seinen Preis: Man gehörte dann nicht mehr zu dem Patronagesystem, das in intellektuellen Kreisen und in Berufsgruppen weitverbreitet ist. Hadamard blieb Szolems Patron, doch mein »Ungehorsam« trug sicherlich dazu bei, dass ich es nie zu einem Patron brachte.

2
Kindheit in Warschau
    (1924–1936)
    Nachdem ich die zentralen Akteure rund um Großvaters Esstisch aus dem Jahr 1930 vorgestellt habe, möchte ich auf meine Geschichte zurückkommen. Die Wurzeln eines Baumes sind wichtig, aber weniger wichtig als seine Früchte, und wer sie beschreiben will, begibt sich auf rutschiges Terrain. Mit zunehmendem Alter ziehen Menschen, die nicht sonderlich erfolgreich waren, die Familie und Freunde den wirklich prägenden Ereignissen vor. Ich werde versuchen, beiden gerecht zu werden.

Sorglose Kindheit in einer großen Familie
    Die einzige Warschauer Wohnung, an die ich mich erinnern kann, lag in der Ulica Ogrodowa Nr. 7. Die »Gartenstraße« (so der Name auf Deutsch) war eine baumlose, gerade und reizlose Seitenstraße der Ulica Solna (Salzstraße). Es war ein ruhiges Viertel in der Nähe des jüdischen Bezirks – mit einer Ausnahme. Häufig marschierten Demonstrationszüge durch Warschau, deren Teilnehmer Spruchbänder mit Solidaritätsbekundungen für die eine oder andere gute Sache mit sich führten. Aus irgendeinem Grund drängte die Polizei die Protestierenden immer in unseren Straßenblock ab, um sie dort mit Schlagstöcken zu attackieren. Wir sahen von der sicheren Höhe unserer Balkone aus zu, wobei wir selten genau wussten, was da ablief – doch wir erkannten deutlich, dass die allgemeine politische Lage rau, instabil und Unheil verkündend war.
    Eine Praxis im dritten Stock ohne Lift war die oberste Etage, die Patienten einer einigermaßen erstklassigen Zahnärztin zu erklimmen pflegten. Mutter war Zahnchirurgin, und die Zimmer zur eleganten Straßenfront hin waren für den Praxisraum und ein schönes Wartezimmer reserviert – beide beheizt von einem großen, die Wand durchbrechenden Kachelofen, der mit seinen weißen und blauen Kacheln an alte

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