Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)
und um eine alte Neugier zu stillen, prassten wir bei einem sagenhaften Abendessen im »Frères Troisgros«, dem berühmten Drei-Sterne-Restaurant in Roanne. Dann fuhren wir weiter nach Tulle, jenem Taleinschnitt, wo ich im Krieg mehrere Jahre verbracht hatte – diesen Ort sehe ich nach all den Jahren immer noch als meine wahre Heimat an.
Ein wenig später veranstaltete Heinz-Otto Peitgen eine Tagung in Bad Neuenahr. Der übliche Abendvortrag wurde durch ein unerwartetes Vergnügen ersetzt. Mein Freund, der Komponist György Ligeti, beschrieb die Tiefenstruktur eines Stücks, das er gerade geschrieben hatte. Es gehörte zu der Reihe später Klaviersuiten, die er nicht vollenden konnte, die aber zu einem der großartigsten Bestandteile seines Repertoires werden sollten. Die Notation wurde auf den Bildschirm projiziert; sein Pianist war ebenfalls eingeladen und half dem Meister, sein sehr kurzes, aber unvergessliches Stück zu de- und anschließend wieder zu rekonstruieren.
Zu meinem 70.Geburtstag organisierte mein ehemaliger Postdoktorand, vielfacher Koautor und Freund Carl C. Evertsz ein Meeting auf der Insel Curaçao. Dass seine Familie auf der Insel sehr bekannt ist, war ebenso hilfreich wie der Anreiz, im Februar in der Karibik zu sein. Obwohl das Treffen denkwürdig verlief, kamen viele Redner erst kurz vor ihrem Vortrag und reisten unmittelbar danach schon wieder ab. Ich schloss daraus, dass die Tage der wahrhaft interdisziplinären Konferenzen über Fraktale vorüber waren. Als ich auf die 80 zuging und eine weitere Konferenz in Erwägung gezogen wurde, bat ich meine Freunde dringend, nicht alle auf einmal zusammenzukommen, sondern stattdessen für jede Disziplin eine spezielle Tagung abzuhalten. Einige Freunde beherzigten meine Bitte, und zu meinem 80. Geburtstag fand bei der Deutschen Bank in Frankfurt eine Konferenz über den Finanzsektor statt. Andere machten, was sie wollten, und organisierten – ebenfalls zu meinem 80. Geburtstag – eine interdisziplinäre internationale Konferenz in Paris. Auf alle Fälle erlebten wir eine wundervolle Zeit.
© Benoît B. Mandelbrot Archives
Im Kielwasser eines Bestsellers aus Bremen
Zusätzliche »Werbung« für das Buch von 1982 kam zudem von einer Präsentation an der Universität Bremen und einem Sachbuch für den Massenmarkt. Damit wurde eine Tradition hochwertiger populärwissenschaftlicher Bücher wiederbelebt, die lange eingeschlafen, aber von Leuten wie dem großen Henri Poincaré regelmäßig praktiziert worden war.
Im Sommer 1984 kümmerte ich mich darum, dass unsere Schwarz-Weiß-Grafiken durch farbige ersetzt wurden. Alles war geregelt, als eine beliebte deutsche Zeitschrift einen Artikel von Heinz-Otto Peitgen und seinen Bremer Kollegen veröffentlichte – der Artikel zeigte genau die Art von Farbbildern, die ich in Planung hatte. Mein ganzes Leben lang habe ich mich an den Grundsatz gehalten, niemals frontal mit irgendjemandem in Konkurrenz zu treten. Deshalb unterbrach ich meine Arbeit, gratulierte den Autoren schriftlich und schlug ihnen eine Zusammenarbeit vor. Der folgende Briefwechsel kulminierte in einer Einladung für das Frühjahr 1985. Die Bremer Gruppe plante eine große Ausstellung mit fraktaler Kunst, die zunächst in Bremen gezeigt werden und dann um die Welt reisen sollte. Sie wollten, dass ich für die Vernissage und einen Vortrag nach Bremen kam. Ich ging erfreut darauf ein. Der Ausstellungskatalog war großartig, wurde ungeheuer populär und war bald ausverkauft. Einen Vorgeschmack bot das Titelbild des Scientific American . Von Peitgen und Peter Richter wurde der Katalog zu einem außerordentlich schönen Buch mit dem Titel The Beauty of Fractals ausgebaut, und ich fühlte mich geschmeichelt, dass man mich bat, ein historisches Kapitel zu verfassen.
Im Anschluss arbeitete ich eng mit der Bremer Gruppe zusammen und beteiligte mich an vielen ihrer Aktivitäten. Einige waren von einer Art, die ich selbst nur widerstrebend initiiert hätte, an denen ich aber gern teilnahm. Sie schrieben mehrere Lehrbücher, die für den Unterricht über Fraktale und Chaos nach wie vor grundlegend sind. Außerdem organisierten sie – in Deutschland und in Broward County in Florida – ein zukunftsorientiertes Lernprogramm, das Fraktale als Unterstützung für den Mathematikunterricht an höheren Schulen einsetzt.
Vater der fraktalen Geometrie
Lassen Sie mich zunächst von einer Überfülle sprechen, die eine Flut von Aufsätzen auslöste. In den
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