Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)
erwähnt, weil Sie nichts zu bezahlen haben. Ein Wohltäter des Instituts hat das übernommen; er ist an internationaler Zusammenarbeit interessiert. Er wohnt gleich nebenan in San Marino. Sie sollten ihm vielleicht ein Dankschreiben zukommen lassen.«
Mea maxima culpa : Ich habe es unterlassen. Schlimmer noch, ich habe den Namen des Wohltäters vergessen. Mein Schuldgefühl verflog erst, als meine Söhne das College besuchten. Ich konnte mir den offiziellen Preis leisten und bezahlte ihn auch, anstatt sie dazu zu zwingen, sich nach leistungsbezogenen Stipendien umzusehen. Die Schuld gegenüber dem Caltech wurde also an Yale und Harvard zurückbezahlt.
Weit wichtiger als ein Stipendium war, dass das druckfrische Vorlesungsverzeichnis mit der Liste des Lehrkörpers mich vor Enttäuschung erstarren ließ. Viel zu viele der Stars, die das vorherige Verzeichnis so überaus attraktiv gemacht hatten, waren nicht mehr da. Die Details waren von Fall zu Fall verschieden. Sehr enttäuschend war, dass der Physiker Robert Oppenheimer – sein Ruhm stammte aus der Kriegszeit in Los Alamos – an das Institute for Advanced Study in Princeton, New Jersey, weitergezogen war; wir kamen erst 1953 in Kontakt miteinander. Allgemeiner gesprochen hatte die theoretische Physik im Vergleich zu früheren und künftigen Standards des Caltech ein niedriges Niveau.
Insgesamt wurde der Lehrkörper des Caltech umfassend erneuert, was zu einer Verschiebung der Schwerpunkte führte. Die zahlreichen Emeritierungen waren darauf zurückzuführen, dass Robert A. Millikan (1868–1953), de facto der Gründer und langjährige Leiter, beim Aufbau des Caltech viele Freunde desselben Alterssegments einbezogen hatte. Nun gingen sie in den Ruhestand oder an andere Orte. Er selbst, gerade pensioniert, stand Studenten für ein Mittagessen und ein Gespräch zu Verfügung. Dies fand in einem Klub namens Athenaeum statt; ein großes Plus des Caltech ist, dass sowohl Lehrpersonal als auch graduierte Studenten dort willkommen sind. Ein kurzer Zeitsprung: Einmal saß ich dort mit Millikan beim Lunch, als ein blasser Mann in abgeschabter Kleidung zu uns kam, sich verbeugte und sich sehr förmlich als Laue vorstellte. In ihm erkannte ich einen wahren Giganten der Physik – 1912 hatte er den Nobelpreis erhalten –, der im wilhelminischen Deutschland als Max von Laue geadelt worden war. Er hatte sich nicht vor Hitler gebeugt, doch Millikan, das muss leider gesagt werden, behandelte ihn sehr von oben herab. Ich meinte und meine immer noch, dass ein so »guter Deutscher« eine bessere Behandlung verdient gehabt hätte.
Flüssigkeitsdynamik in einer Periode der Reife
Die schlimmste Enttäuschung war, dass Theodore von Kármán im Lehrverzeichnis des Caltech zwar weiterhin aufgeführt wurde, in Wahrheit jedoch auf unbestimmte Zeit beurlaubt war und sich in Paris niedergelassen hatte! Er hatte nie geheiratet und seiner – ebenfalls unverheirateten – Schwester die Haushaltsführung überlassen. Sie hatten in Belgien gelebt, während er in Aachen direkt an der Grenze in Deutschland Professor gewesen war, und sie begleitete ihn ans Caltech. Doch gleich nach Kriegsende wollte sie nach Europa zurück, wo sie sich in einem eleganten Hotel in Paris niederließ. Während meines Aufenthalts am Caltech ließ er sich einige Male blicken, dann ging er in den Ruhestand.
Noch schlimmer war, dass der berühmte »Zirkus Kármán« durch Leute ersetzt worden war, von denen (noch) kaum jemand gehört hatte. Die Flüssigkeitsmechanik insgesamt war ein von großer Konkurrenz geprägtes, »reifes« Gebiet, das langsam wuchs und in getrennte Bereiche zerfiel. Die Gesetze der Flüssigkeitsbewegung – die Navier-Stokes-Gleichungen – sind berüchtigt für ihre Schwierigkeit. Reine Mathematiker sowie Physiker hatten hier wenig beizutragen, und so überließ man sie Ingenieuren. Ein weiteres Problem war, dass als führendes Lehrbuch ein Buch verwendet wurde, das fast hundert Jahre zuvor von dem englischen Universitätsdozenten Horace Lamb verfasst worden war, ehe er zum Sir geadelt wurde.
1947 ging es in der Forschung um die zentrale Frage, was geschehen würde, wenn ein Flugzeug schnell genug flöge, um die Schallmauer zu durchbrechen. Theoretiker im Elfenbeinturm quälten sich in einer abgeschlossenen Welt, und Abenteurer in einer anderen Welt machten ungeheuer viel Geld, wenn sie ungetestete, raketengetriebene Vehikel flogen, von denen keiner wusste, ob sie abheben, fliegen und sicher
Weitere Kostenlose Bücher