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Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Titel: Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoît B. Mandelbrot
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Insider in seinem Metier brachte. Sein selbst bestimmter Wagemut und seine Einsicht kosteten ihn seine Karriere und eine frühe Anerkennung, aber ich fand seine Unabhängigkeit bewundernswert. Ich war bereit, den gleichen Preis zu bezahlen.

10
Pasadena: Als Student während eines goldenen Zeitalters am Caltech
    (1947–1949)
    Im Jahr 1947 hatte der selbst ernannte Kepler der Komplexität eine weitere Weggabelung erreicht. Wie erhofft, gewährte mir die Carva zwei Jahre des Nachdenkens, und die Zukunft versprach beträchtliche Wahlmöglichkeiten. Ich lernte eine Menge, wurde reifer und sehr französisch. Doch die Wahlfreiheit erwies sich als Nachteil. Sie setzte mich ohne nennenswerte Wegweisung auf einem weiten Ozean aus.
    Ich wollte mich von der etablierten Physik und Mathematik fernhalten und andere, vergnügliche Wege finden, auf denen ich mein wachsendes Wissen und meine Begabung für Formen anwenden konnte. Ich wollte die Aufregung spüren, als Erster auf einem realen, konkreten und komplexen Gebiet – es musste nicht zwangsläufig sehr bedeutsam sein – einen bestimmten Ordnungsgrad zu entdecken, wo alle anderen nur ein regelloses Durcheinander erkannten. Ich wünschte mir, auf einem Gebiet jenes Element rationaler mathematischer Struktur einzubringen, das Kepler ein paar Jahrhunderte zuvor in die Physik eingeführt hatte. Doch dieser Kepler-Traum blieb in einer Warteschleife hängen. Mir war bewusst, dass der nächste Schritt nach der Carva hart werden würde.

Admiral Brard empfiehlt das Caltech
    1947, in der realen Welt der Carva in Paris, waren es weder Szolem noch Paul Lévy, die ich um Rat fragen konnte – dafür kam eher Roger Brard (1907–1977), Professor für angewandte Mathematik, infrage. Er war Marineingenieur im Rang eines Admirals und Chef eines großen »Bassin des carènes« – dieser nette altmodische Ausdruck steht für einen Schlepptank (entspricht im Schiffsbau dem Windkanal). An der Carva war er nur »nebenher« tätig und hatte daher dort kein Büro, weshalb wir uns in seinem Auto trafen. Ich erinnere mich sogar an die Marke: Matford. Und damit kommt mir ein weiteres Kennzeichen jener Zeit vor Augen: Es gab so wenige Autos in der Stadt, dass er stets einen leeren Parkplatz nahe der Schule fand.
    Als die »SS Normandie«, von der Zeitschrift Popular Mechanics als der letzte »Gigant der Meere« gepriesen, in den 1930er-Jahren eine Versuchsfahrt unternahm, stellte sich heraus, dass es zwischen der Hülle und der Schraube zu Resonanzen kam; Brard war an der Diagnose und der Fehlerbeseitigung beteiligt. Seine zahlreichen Aufsätze zur Wahrscheinlichkeitstheorie werden zwar nicht mehr zitiert, aber bei der Carva sah man ihn (im Gegensatz zu Paul Lévy) als Praktiker an, weshalb man ihn mit allen Themen der angewandten Mathematik beauftragte.
    Ehrgeizige Studenten der Carva konzentrierten sich nur auf die Abschlussnoten und benötigten keine Berater. Ich dagegen brauchte dringend einen Berater mit breiter Erfahrung in den Niederungen der Praxis und mit genügend Zeit, um mir bei der Suche nach meinem Weg zu helfen. Brard war freundlich und machte es zu meiner Überraschung möglich, dass er als Berater verfügbar war.
    Nach kurzem Zögern machte er zwei Vorschläge: Erstens sei Flüssigkeitsmechanik das richtige Gebiet für mich. Und zweitens sollte ich ans Caltech – in Pasadena, einer Vorstadt von Los Angeles – gehen und bei dem sehr angesehenen Theodore von Kármán studieren. Kármán war ein Magier, der genau wusste, wie man die richtige Mathematik fand, um mit hoher Komplexität umgehen zu können. Er arbeitete auf dem Gebiet der Luftfahrt, doch Brard meinte, er sei offen für vieles.
    Szolem warnte mich, auf Brards Rat zu hören. Wer es in Paris in der Flüssigkeitsmechanik zu etwas bringen wollte, sollte unbedingt die umgekehrte Reihenfolge einhalten. Erst war ein passender und verlässlicher »Patron« zu finden, anschließend musste man sich die richtigen Empfehlungen verschaffen und erst dann ans Caltech gehen. Doch ich war zu ruhelos, und von den möglichen Förderern in Paris konnte ohnehin keiner ähnlich magische Fähigkeiten vorweisen, wie Brard sie Kármán zuschrieb.
    Vater dagegen hielt das Caltech für eine ausgezeichnete Idee. Tatsächlich hatte er Léon schon dazu ermutigt, in die Luftfahrttechnik zu gehen. Erst später sollte er erkennen, wie eng die Flugzeugindustrie mit dem Staat zusammenhängt, was seine Begeisterung stark dämpfte.
    Auf jeden Fall waren Vater

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