Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)
einen Teilzeitausbilder namens Klein bewahrt. Er war vor dem Krieg Physiker am Caltech gewesen und inzwischen zu einer Art persönlichem technischem Berater für Donald Douglas geworden, den Gründer und Namensgeber einer damals florierenden Flugzeugbaufirma. Wegen dieses »Brot und Butter«-Jobs kam er völlig unvorbereitet erst spät am Tag und pflegte uns mit Enthüllungsgeschichten aus der realen Welt zu unterhalten. Aus dem Flugzeugkonstruktionsteam, dem ich zugeteilt war, ist mir einer, Paul MacCready (1925–2007), unauslöschlich in Erinnerung geblieben. Trotz vieler Unterschiede waren wir Freunde. Er wurde zu einem erfinderischen und nimmermüden, durch und durch altmodischen Alleinerfinder, dessen Firma AeroVironment eher durch Neugier als durch Gier in Gang gehalten wurde. Sein Ruhm erreichte den Höhepunkt, als er »Flugzeuge« konstruierte, bei denen die Beinkraft eines einzigen gut trainierten Mannes über die Pedale und die Schaltung eines Rennrads auf den Propeller übertragen wurde. MacCreadys Faszination für den Vogelflug drückte sich in den von ihm gewählten Namen aus. Mit dem Gossamer Condor testete man das Konzept, dann überquerte der Gossamer Albatros den Ärmelkanal in niedriger Höhe – direkt über einer Bootsflotte, die sich für eventuelle Notfälle bereithielt. Der später folgende Gossamer Pinguin nutzte ebenso die Sonnenenergie wie der Solar Challenger , der den Ärmelkanal in größerer Höhe überquerte.
Doch all der Spaß kam erst später. Am Caltech verbrachte MacCready seine Wochenenden, indem er sich in die Lüfte schwang – in Nachahmung des Vogelflugs mit Segelflugzeugen ohne Motor. Erst später, als ich in der französischen Luftwaffe diente, erfuhr ich von Piloten, dass dieser bescheiden auftretende und stille Mann vier Jahre hintereinander US-Meister im Segelflug gewesen war und schließlich sogar die Weltmeisterschaft errungen hatte. Eine größere Fachgesellschaft ernannte ihn zum Ingenieur des Jahrhunderts. Er selbst bezeichnete sich als ambivalenten Maschinenstürmer, und er stand für schrankenloses Denken. Er war ein glücklicher Außenseiter, der es geschafft hat, immer im selben Sandkasten zu bleiben und einfach immer weiter zu spielen. Wir hatten stets das Gefühl, auf der gleichen Wellenlänge zu liegen, trafen aber nicht oft genug aufeinander. Ein brillanter Mann.
Die mathematischen Seiten der Mechanik
Am Caltech wurde eine der mathematischen Seiten der Mechanik durch die Doktorarbeit meines gerühmten Lehrers repräsentiert. Frank E. Marble (geb.1918) gab ein Thema aus der Propellertheorie vor, und ich rechnete die komplizierten Gleichungen aus – ohne dass einer von uns sich übermäßig bemühen musste. Frank und ich blieben Freunde, und er rühmt sich, er habe dazu beigetragen, mich für höhere Aufgaben zu retten.
Eine andere Seite der Mechanik wurde durch den Mathematiker Paco Axel Lagerstrom (1915–1989) verkörpert. Der Schwede war ein brillanter und sehr kultivierter Mann, aber unstet, seltsam und geheimnisvoll. Manche Studenten bewunderten ihn, wenige tolerierten ihn, viele mochten ihn nicht. Wir kamen oft privat zusammen, und so erfuhr ich, dass Pacos allmähliche Weiterentwicklung von der Theologie zur Philosophie, zur Logik und zur sehr reinen Mathematik geführt hatte, worauf ein Hauch jener Mathematik folgte, die er für angewandte Mathematik hielt – was ich anders sah. Bei einem seiner seltenen Besuche bat mich Kármán, ihm die Themen zu schildern, die ich für meine Dissertation ins Auge fasste. Er unterbrach mich aber bald und fragte kurzerhand, welcher Narr einen derart antiphysikalischen Gegenstand vorgeschlagen haben mochte. Mir blieb nichts anderes übrig, als auf den neben mir stehenden Paco zu zeigen. Nun war er dran, und Kármán behandelte ihn nicht gerade freundlich.
Nach diesem Vorfall wurde meine Beziehung zu Paco schlechter. Ein Seminar, an dem ich damals bei ihm teilnahm, endete mit einer mündlichen Prüfung. Paco benotete mich mit einem A, dann sagte er zu mir: »Ich denke, du solltest deinen Doktor nicht bei mir machen, denn du bewunderst mich nicht genug.« Er hatte recht, und ich wusste seine Direktheit zu schätzen. Trägheit hätte mich vielleicht dazu gebracht, es mit ihm zu versuchen, doch die Fortsetzung wäre entweder kurz oder beklagenswert verlaufen. Leider war er der einzige Professor am Caltech, der als Betreuer meiner Doktorarbeit infrage kam. Das bedeutete, das Caltech ohne Doktortitel zu verlassen.
In
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