Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)
und ich darin einig, wie ich vorgehen sollte, wenn auch aus sehr unterschiedlichen Gründen. Zwar betrachtete ich die Luftfahrttechnik nicht als mein endgültiges Arbeitsgebiet, hielt sie aber für den besten gangbaren Weg, früh mit der Umsetzung meines Kepler-Traums zu beginnen. Also bewarb ich mich beim Caltech mit einem Empfehlungsschreiben des Physik-Professors an der Carva , Louis Leprince-Ringuet. Ich wurde angenommen und blieb zwei Jahre dort. Für die Reise erhielt ich ein großzügiges Stipendium der Carva – arrangiert von Professor Brard, der damit weit über die Beratung hinausgegangen war.
Ich fragte mich, ob Vater sich überhaupt noch daran erinnerte, wie dringend er gewünscht hatte, seinen brillanten jüngeren Bruder Szolem nach Berlin zu schicken, wo er Ingenieurwissenschaften studieren sollte. Jedenfalls schloss das Ingenieurwesen die Technologie ein, mit der der Krieg gewonnen worden war: von den 1920er- zu den 1940er-Jahren hatte sich der Schwerpunkt von der Chemie zur Luftfahrt verlagert.
Vater konnte unmöglich von dem Ratschlag gehört haben, den drei berühmte Ungarn von ihren jeweiligen Vätern erhalten hatten, nämlich der schon erwähnte Mathematiker John von Neumann wie auch dessen Zeitgenossen, die Physiker Edward Teller und Eugene Wigner. Deren Väter – sehr viel wohlhabender und weltgewandter als meiner – hatten ebenfalls darauf bestanden, dass ihre brillanten Söhne chemische Verfahrenstechnik studieren sollten. Sie hielten sich daran – mit weitreichenden historischen Folgen, als sie während des Zweiten Weltkriegs für die US-Regierung arbeiteten.
Willkommen in Los Angeles
Was die unmittelbare Vorbereitung einer Karriere betraf, hatte ich meine zwei Jahre am Caltech beinahe vergeudet, auch wenn einige Vorlesungen sich später als nützlich herausstellen sollten. Andererseits gaben mir die zwei Jahre am Caltech die Chance, meinen Kepler-Traum weiter auszubauen. Ich bin sehr froh, dass ich dorthin gegangen bin.
Meine ersten Eindrücke von Los Angeles betrafen den Smog und die Bibel. Nach der Ankunft schmerzten meine Augen tagelang. Ich konnte nichts dagegen tun, und mir fiel ein, dass einer der Leute, denen ich von Freunden empfohlen worden war, Augenarzt war. Er lebte westlich des Zentrums, viel zu weit weg für soziale Kontakte, aber ich rief ihn an, um ärztliche Hilfe zu erbitten. Er gab mir einen kostenlosen Termin, doch unterwegs verpasste ich die große rote Straßenbahn entlang des Arroyo Seco. In meiner Verzweiflung versuchte ich mich als Anhalter, und bald wurde ich von einem zweitürigen Sedan mit einem jungen Fahrer und einem älteren Beifahrer aufgelesen. Als ich mich auf dem Rücksitz niedergelassen hatte und das Auto wieder fuhr, fragte der Beifahrer: »Bist du gerettet?« Ich war mir nicht sicher, ob meine Ohren ebenso geschädigt waren wie meine Augen, und gab keine Antwort. Das Auto driftete abrupt nach links und rechts, und der Beifahrer wandte sich zu mir: »Mein Sohn ist ein sicherer Fahrer, aber auf dem Arroyo gibt es viele Unfälle. Überlege noch mal, bist du gerettet?« Mittlerweile hatte der Wagen am Straßenrand angehalten, und der Beifahrer hatte sich neben mich auf die Rückbank gesetzt. Er schlug eine Bibel auf und las einen Abschnitt. »Lautet diese Geschichte in Englisch nicht genauso wie in Französisch? Stimmst du mir nicht zu, dass dies die Existenz Gottes beweist? Denk noch einmal darüber nach, bist du gerettet?« An dieser Stelle fuhren sie in eine Seitenstraße und setzten mich auf dem Parkstreifen aus. Schließlich tauchte eine Straßenbahn auf, aber meinen Termin hatte ich natürlich verpasst. Ein Zettel an der Tür verriet mir, dass der Arzt nicht hatte warten können und gegangen war. Ich antwortete ihm, es täte mir sehr leid, aber ich sei von einem Prediger aufgehalten worden.
Als ich den Augenarzt dann schließlich traf, war seine erste Frage: »War der Prediger denn einigermaßen gut?« Seine medizinische Diagnose ergab, dass meine Augen in Ordnung waren und nur übermäßig unter dem Smog litten. »Was ist Smog?« – »Was, das hat man Ihnen nicht erklärt? Es ist mit Nebel vermischter Qualm. Das gehört zum hiesigen Wetter. Ein paar von Ihren Freunden am Caltech arbeiten daran. Fragen Sie die.« Was ich dann auch tat.
Amerikas Akademien in raschem Wandel
Als ich mich im Empfangsbüro des Caltech meldete, erklärte mir jemand: »Übrigens, die jährliche Studiengebühr beträgt 600 Dollar. Das haben wir aber nicht
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