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Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Titel: Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoît B. Mandelbrot
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Absolventen einfach als gemustert. Folglich stempelte irgendein Amt »Diensttauglich« (was aktiven Dienst meinte) in meine Militärakte, doch niemand machte sich die Mühe, mich einzuberufen. Als man dann später herausfand, dass ich ausländischer Student – und damit Zivilist – war, stempelten sie den Vermerk »Tauglich – Abwesend« in eben diese Akte. »Tauglich«, weil man mich – mangels eines Belegs für das Gegenteil – für diensttauglich hielt. »Abwesend« besagte, dass ich mich nicht zum Dienst gemeldet hatte, und das stand für die schwächste Form von Desertion.
    Hätte ich nicht nachgefragt, wäre der Widerspruch in alten Akten begraben geblieben. Weil ich mich erkundigte, löste man das Problem, indem behauptet wurde, ich hätte von einer Studentenrückstellung profitiert, weshalb ich nun für zwölf Monate eingezogen werden solle.

Luftwaffenlager: La Folie und Château Bougon
    Im Wörterbuch wird »folie« als »Verrücktheit« definiert, doch das Wort bezeichnet auch die kleinen Schlösschen, die adlige Damen des 18. Jahrhunderts erbauen ließen, um dort ihre sehr intimen Gäste unterzubringen. Eines lag in Nanterre, einem nordwestlichen Vorort von Paris. 1949 war dieser Palast zu einem Luftwaffenstützpunkt geworden und hieß Camp de la Folie. Heute befindet sich dort der Campus der Universität Paris-Nanterre, wo im Mai ’68 die berühmten Studentenunruhen begannen.
    Die französische Luftwaffe befahl mir, mich in Nanterre zu melden. Nach meiner Ankunft wurde ich zunächst aufgefordert, einen Fragebogen zu meinen Qualifikationen auszufüllen. Ein junger Bauer, der hier seinen Militärdienst ableistete, stellte die Fragen.
    »Können Sie lesen und schreiben?«
    »Ja.«
    »Haben Sie die Grundschule abgeschlossen?«
    »Ja.«
    »Haben Sie das Certificat d’Études geschafft?«
    »Ja.«
    »Haben Sie eine höhere Schule besucht?«
    »Ja.«
    »Haben Sie die höhere Schule abgeschlossen?«
    »Ja.«
    »Haben Sie sonst noch etwas mitzuteilen, Herr Oberschlau?«
    »Ja. Ich habe einen Abschluss der École Polytechnique.«
    Der Bursche lief rot an und explodierte. »Ihr feinen Pinkel aus der Großstadt lügt mich nicht an.«
    »Das will ich doch gar nicht. Alles, was ich Ihnen sage, ist absolut wahr.«
    »Wenn es wahr wäre, wären Sie nicht als einfacher Soldat in Lumpen eingezogen worden, sondern als Offizier, der uns alle herumkommandiert.«
    Unverzüglich brachte man mich zum Oberst, dem Kommandeur des Lagers. »Jeder hier hat gehört, dass Sie angeblich Absolvent der Carva sind. Natürlich glaubt kein Mensch, dass das stimmt, aber die Unteroffiziere trauen sich nicht, Ihnen Befehle zu erteilen, und Ihre Anwesenheit sorgt hier für einen Saustall. Hier werden niemals Absolventen der Carva eingezogen. Das muss alles aufgeklärt werden.«
    »Colonel, ich bin Ehemaliger der Carva . Sehen Sie im Jahrbuch nach, oder rufen Sie die Hochschule an.«
    »O.k., ich glaube Ihnen.« Er wurde sehr nachdenklich und meinte, das alles sei offensichtlich das Ergebnis eines Verwaltungsfehlers. Seine guten Freunde im Luftwaffenhauptquartier würden alles in kürzester Zeit erledigen.
    Als ich mich wieder meldete, wirkte er niedergeschlagen. »Ich habe mit der zuständigen Stelle am Telefon gesprochen, aber Gesetz ist Gesetz, und Sie müssen ein Jahr abdienen, jedoch sicher nicht als einfacher Soldat. Man wird Sie zum Reserveoffizier ausbilden, und Sie fangen als Reserveoffiziersanwärter an. In sechs Monaten wird man Sie ins Luftwaffenhauptquartier befehlen, aber die Grundausbildung müssen Sie in einem angemesseneren Stützpunkt durchlaufen – nicht hier .«
    Seine Sekretärin unterbrach: Um als Reserveoffiziersanwärter anerkannt zu werden, müsse man entweder einen Lehrgang bei einer Ausbildungseinheit für ROTC (Reserveoffiziersanwärter) absolviert haben oder eine spezielle Prüfung ablegen. »Für einen Absolventen der Carva wäre es unerhört, wenn man ihn zu dieser Prüfung auffordern würde.« Also ergänzte man die Dienstvorschriften noch um die Feststellung, dass die ROTC für zivile Absolventen französischer Militärakademien mit guten Noten automatisch als abgeleistet gilt.
    Als Nächstes erinnerte die Sekretärin den Oberst daran, dass die Beförderung zum Anwärter eine formelle Ernennung erfordere. Noch ein Anruf beim Hauptquartier, dann verkündete ein Brief, man habe die Vorschriften geändert: »Jetzt erfüllt er alle Anforderungen und soll zum Anwärter ernannt werden.«
    Meine Militärakte

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