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Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Titel: Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoît B. Mandelbrot
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Meinung nach eine Grundlage für die Wirtschaftswissenschaften bieten sollte. Danach – noch immer sehr jung – wandte er sich anderen Arbeiten zu, die ihn als Vertreter der reinen Mathematik berühmt machen sollten.
    Als ich ihn dann kennenlernte, hatte er die reine Mathematik längst zugunsten der angewandten verlassen. Er war inzwischen von Wettervorhersagen und deren Herausforderungen fasziniert, vertrat aber die Überzeugung, die theoretische Meteorologie würde sehr primitiv bleiben, solange die ihr zugrunde liegenden mathematischen Gleichungen nicht numerisch gelöst werden könnten. Um das zu ermöglichen, hatte er sich als Unternehmer in einem völlig neuartigen Bereich des Maschinenbaus neu erfunden und leitete ein Team, das einen der ersten elektronischen Computer konstruierte – von Grund auf.
    Sein persönlicher Wohlstand bewahrte ihn davor, in einer Abstellkammer (bildlich oder real) arbeiten oder zur Rettung seines Lebens fliehen zu müssen – auch wenn seine Familie während der 100 Tage der bolschewistischen Diktatur Béla Kuns seinen Geburtsort Budapest vorsichtshalber verlassen hatte. Da Johnny zu dem Schluss gekommen war, dass er in Europa nie eine Professur erhalten würde, ging er lange vor Hitler fort und wurde zu Professuren in Princeton berufen, erst an der Universität, dann am IAS – der begehrtesten aller akademischen Einrichtungen. Er arbeitete auch als hochbezahlter Berater. Wie schon erwähnt waren die »heißen« Spezialgebiete, die ihn anzogen, überfüllt mit vielen spezialisierten und fähigen Konkurrenten, und er war ein beachtenswerter Gastexperte, der seine Gastgeber nicht bedrohte. In dieser Phase meines Lebens suchte ich jedoch nicht nach Konkurrenz, sondern sehnte mich nach Vielfalt. Er erfüllte mich mit Bewunderung, Ehrfurcht und dem Wunsch, die geradezu überwältigende Vielseitigkeit seiner Tätigkeiten nachzuahmen. Außerdem hoffte ich Hinweise zu finden, wie er das zustande gebracht hatte.
    Die vielfältigen Interessen von Neumanns gediehen weiterhin getrennt. Einer angemessenen Hundertjahrfeier am nächsten kam eine Veranstaltung in seiner Heimat Ungarn. Von Neumann hatte das Glück, dass seine Heimat – ein sehr kleines Land – beständigen Trost in seinen großen Söhnen findet, die fortgegangen sind und im Ausland Ruhm erworben haben, weshalb es ihnen ihre Eigenheiten nachsieht (oder sich an ihnen erfreut).

Mehr als einmal rettet Warren Weaver den Tag
    Natürlich hatte ich von Neumann ein Exemplar meiner Dissertation geschickt. Er schrieb zurück, ich solle ihn besuchen – wann auch immer, selbst an einem Samstagvormittag. Als ich am MIT war, nahm ich mir ein paar Tage frei, um ihn zu treffen. Im Verlauf unseres Gesprächs fragte er, ob ich für ein Jahr als Gast bleiben wolle. Ich meinte, das würde ich sehr gern, aber wann? Es war gegen Ende Mai, und ich vermutete, dass für das nächste akademische Jahr schon längst alles geregelt war. Er erwiderte, die Rockefeller-Stiftung in New York könne leicht eine Lösung für dieses Problem finden. Am kommenden Montag solle ich mich mit Warren Weaver, einem der großen Antreiber und Gestalter der Wissenschaftspolitik während des Zweiten Weltkriegs, treffen. Er, von Neumann, werde eine Nachricht in meiner Angelegenheit hinterlegen, und alles werde schnellstens erledigt sein.
    Im 49. Stock der Adresse 49 West 49. Straße in New York City schickte mich der Portier gleich zu Weavers Sekretärin, die mich wiederum in dessen Büro winkte. Als ich nach einem kurzen, aber sehr freundlichen Gespräch wieder hinausging, fragte ich, welchen Bewerbungsbogen ich auszufüllen hätte. Es sei keine Bewerbung erforderlich, sagte man mir: Alles sei in die Wege geleitet. Keine andere wichtige Wende in meinem Leben verlief reibungsloser.
    In den folgenden Jahren traf ich mich immer wieder mal mit Weaver. Stets sprudelte er über von neuen Ideen. Einmal bemühte er sich darum, der mathematischen Biologie auf die Sprünge zu helfen, wollte mich dringend als Führungsfigur und bot erhebliche Finanzmittel an. Doch ich hatte – anscheinend zu Recht – den Eindruck, das Gebiet sei noch nicht reif genug, um deswegen meine anderen Tätigkeiten aufzugeben.
    Mein letztes Treffen mit Weaver – das war 1968 – verlief ganz anders als das erste, war aber ebenso unvergesslich.Damals arbeitete ich bei IBM. Ich hatte gerade einen Vorgesetzten bekommen, der mir das Leben schwer machte. Bei IBM war es damals üblich, niemals jemanden zu feuern,

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