Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)
Opernaufführung unseres Lebens: Mozarts Don Giovanni in der Oper von Monte Carlo, einer ebenfalls von dem Architekten Charles Garnier stammenden Miniaturausgabe der Pariser Oper. Die Vermählung des Fürsten Rainier de Grimaldi mit der berühmten amerikanischen Schauspielerin Grace Kelly erforderte viele unübertreffliche Galavorstellungen, für welche die ersten Reihen des Opernhauses sich mit bekannten Gesichtern und phantastischen Abendroben füllten. Wir fuhren zufällig vorbei und hielten in einer plötzlichen Laune an, um uns zu erkundigen. Man erklärte uns, wenn wir versprächen, uns ganz still und unauffällig zu verhalten, könne man uns Plätze in der letzten Reihe anbieten. Die Plätze waren noch erschwinglich, und es handelte sich um die dreizehnte Reihe – ausreichend nah. Die größten Sänger der Zeit, ein kleines, aber großartiges Orchester – Nirwana!
Flitterwochen im großartigen La Boverie
Kurz vor unserer Hochzeit lernte ich, wie ich im nächsten Kapitel ausführlicher beschreiben werde, Jean Piaget kennen und folgte seinem Ruf nach Genf. Als ich mich dort nach einer Mietwohnung umsah, fiel mir eine schön gestaltete Zeitungsanzeige auf; ein Haus wurde mit einem Gedicht angepriesen – dem Anschein nach in einem fernen Vorort. Ich rief an, um mich nach dem Weg nach Satigny zu erkundigen, und wurde gebeten, einfach vor dem Bahnhof zu warten und auf ein Auto zu achten, das nicht zu verfehlen sei – ein Alfa Romeo 1800. Tatsächlich kam dann ein Mann mit einem kleinen Jungen angefahren. Er stellte sich als Monsieur Marbot vor und den Jungen als seinen Enkelsohn, und er chauffierte mich zu seinem Anwesen.
Die phantastische Anlage La Boverie bestand aus einem großen Park mit einem in Wohnungen aufgeteilten Herrenhaus, einem »Bauernhof« und einem schlichten kleinen Appartement über der Garage, das zu vermieten war. Das Anwesen stammte aus dem 18.Jahrhundert – dem Namen ist zu entnehmen, dass dort einst Ochsen gehalten wurden –, und bald erfuhr ich, dass die Landschaftsarchitekten, damit der Entwurf für alle Ewigkeit Bestand hatte, die Sichtachsen durch Mammutbäume begrenzt hatten – in Europa damals eine absolute Neuheit. Derselbe Architekt hat auch im großen Parc de la Grange in Genf Mammutbäume pflanzen lassen.
Wir unterzeichneten einen Vertrag, und damit ich meiner Verlobten zeigen konnte, dass sie bald an einem großartigen Ort leben würde, überreichte mir Marbot eine von einem unternehmungslustigen Piloten geschossene Luftaufnahme. Aus der Luft war der Anblick ebenso göttlich wie vom Boden aus. Im Vergleich zu der kleinen Wohnung, die wir in Paris oder im Ortskern von Genf hätten beziehen können, war das ein Hauptgewinn.
Wir verlebten dort Flitterwochen, die zwei Jahre andauerten, und dorthin brachte Aliette Laurent, unseren ältesten Sohn, aus der Geburtsstation der Klinik. Das Haus ruft eine Flut von Erinnerungen hervor. Eine riesige Rasenfläche musste an einen Bauern zum Weizenanbau verpachtet werden. Jenseits dieses Ackers verbarg sich ein hübscher Kirschgarten, dessen Früchte von klein und sauer bis mordsmäßig groß reichten – was jedes Dessert zu einem Bankett mit vielen Gängen werden ließ.
Von unserer Wohnung hatten wir einen schön eingefassten offenen Blick über die Rhône auf den in voller Pracht daliegenden Mont Salève im Süden; an den seltenen klaren Tagen sahen wir sogar die Aiguille du Midi im Montblanc-Massiv der Hochalpen. Der Blick vom Herrenhaus nach Westen reichte direkt bis nach Bellegarde, wo die Rhône die Berge des Jura durchbricht.
© Benoît B. Mandelbrot Archives
La Boverie – stilistisch kühl und diskret gehalten, wie es sich für das calvinistische Genf gehört – hat uns beide für den Rest unseres Lebens verdorben. Jede neue Unterkunft, die wir in Betracht zogen, musste – auf ihre je eigene Art – zu unserer ersten passen. Unser zukünftiges Haus in New York hatte uns sofort wegen seiner Eiche angezogen, die uns an »unsere Eiche« in Genf erinnerte. Als unser jüngerer Sohn unbedingt einen Hund haben wollte, trieben wir für ihn einen braunen Boxer mit schwarzer Schnauze auf. Rassehunde erfordern angemessene Namen, und wir entschieden uns für Bruno Boccanegra de la Boverie.
Unser erstes Auto war primitiv: ein Citroën 2CV, der sagenhafte »Deux Cheveaux«, den unser Freund Mark Kac als die platonische Essenz eines Autos bezeichnete. Von den zahllosen Wagen, die ich besaß, ist dieser erste der einzige, der der Rede
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