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Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Titel: Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoît B. Mandelbrot
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wert ist. Wenn man das Textildach aufrollte, hatte man ein Cabrio; man konnte ihn nie schmutzig nennen, weil es ihn nur in einer Farbe gab: trockener Schlamm.
    André Citroën war ein höchst gebildeter, sehr raffinierter und wagemutiger Neuerer, sowohl hinsichtlich der Gestaltung als auch der Werbung. Er kultivierte den Frontantrieb für die Massenproduktion, und der 2CV wurde von brillanten Ingenieuren konstruiert, die jedes Teil von Grund auf neu durchdachten, sodass sogar einige entscheidende Bestandteile im Bedarfsfall zu Hause in einer Garage nachgebaut werden konnten. Das Ergebnis war schrullig bis zum Exzess. Eines Tages, als unser Auto in den Alpen liegen geblieben war, öffnete ich die Motorhaube und erblickte eine geheimnisvolle, mit Öl und Dreck bedeckte technische Vorrichtung. Nachdem das Ding gereinigt war, entpuppte es sich als kleiner Hebel, den ich versuchshalber einfach auf und ab bewegte. Es war eine Hilfs-Benzinpumpe! Nachdem wir mithilfe einiger Zwischenstopps zum Pumpen wieder zurück waren, fuhr ich rasch zur Werkstatt, die sich in einer alten Schmiede befand. Der Mann sagte, ja, ein Teil der Benzinpumpe sei zu schwach ausgelegt. Nichts Ernstes: Es war nicht erforderlich, es zu bestellen und darauf zu warten. Vor Ort fabrizierte er ein Ersatzteil aus einem Stück Abfallstahl, das er aus einer Tonne zog.

19
In Genf mit Jean Piaget, Mark Kac und William Feller
    (1955–1957)
    Meine Stellen als Postdoc am MIT und in Princeton waren sorgfältig zugeschnitten, und die anschließende Forschungsstelle in Paris war dazu gedacht, mich zu unterstützen, während ich auf einen akademischen Start wartete. Anders als die Perioden meiner großen Tour war der Abschnitt meiner Karriere von 1955 bis 1957 – in Genf – völlig ungeplant.

Jean Piaget (1896–1980)
    1955 war das Statistische Institut der Universität von Paris beengt untergebracht – in ein paar bescheidenen Räumen des Instituts Henri Poincaré, das zu einem kleinen Universitätsgelände an der Rue Pierre et Marie Curie gehörte. Als ich eines Tages wegen einer Verwaltungsangelegenheit dort vorbeikam, schneite ein rüstiger, aber schon älter aussehender Herr herein und fragte die Sekretärin, wo und wann er mich treffen könne. Nachdem er mich nun ziemlich leicht gefunden hatte, stellte er sich als Jean Piaget vor. Erfreut hörte er, dass ich sehr wohl wusste, welch großen Ruhm er als der Mann erworben hatte, der sich bemüht hatte, Rationalität in die Kinderpsychologie zu bringen.
    Wir setzten uns, und er schilderte mir die Vorstellung, dass man die Natur des Wissens aus der Art ableiten könne, in der Wissen zunächst in der Kindheit erworben würde – er habe das sein ganzes Leben lang untersucht und als genetische Epistemologie bezeichnet. Die Rockefeller-Stiftung hatte ihm Mittel gewährt, mit denen er ein interdisziplinäres Zentrum einrichten sollte. Er war sicher, es werde mit Lichtgeschwindigkeit vorankommen – vor allem wenn ein passender Mathematiker vor Ort dabei half. Er suchte jemanden, dessen Arbeit ein Beweis seiner Aufgeschlossenheit war, fand meine Arbeit auf dem Sektor Linguistik sehr eindrucksvoll und wollte mich für diese Position. Ich war wie vom Blitz getroffen. Nur ein paar Tage zuvor hatten Aliette und ich beschlossen zu heiraten. Wir legten beide Wert darauf, weder zu nah noch zu weit entfernt von unseren Müttern in Paris zu leben, wussten aber nicht, wie wir das bewerkstelligen sollten. Piagets plötzliches Angebot stellte eine zeitlich passende, überraschende und höchst elegante Lösung dar. Unsere »Verhandlungen« fielen sehr kurz aus. Ja, ich konnte Assistenzprofessor an der Universität werden, doch für ihn war wichtiger, dass ich sehr aktiv an einer wöchentlichen Zusammenkunft aller Teilnehmer und einem breit angelegten Symposion am Ende des Jahres mitwirkte, dem die Veröffentlichung unserer Resultate unmittelbar folgen sollte.
    Ein schrecklich ehrgeiziges Vorhaben, aber in diesem Stadium meines Lebens ein Geschenk Gottes! Genf schien mir nahe genug bei Paris zu liegen, um mögliche Ansatzpunkte in Frankreich im Auge behalten zu können. Piaget schien ein interessanter Mensch zu sein, und die Arbeit mit Sozialwissenschaftlern kam mir reizvoll vor – und konnte mir möglicherweise helfen, einen Job an Land zu ziehen. Ich willigte ein, und Piaget nahm an unserer Hochzeitsfeier teil.
    Von seiner auf einem Hügel gelegenen Wohnung aus fuhr Piaget mit dem Fahrrad bergab wie bergauf und bei jedem

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