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Schönesding!

Schönesding!

Titel: Schönesding! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Boehm
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Aus einer kurzen Stelle über die häuslichen Verhältnisse in dem Buch improvisierten sie, die Erwachten, gleich eine hilfreiche Lektion über die sexuelle Politik der Volksgenossen.
    Die Stelle lautet: „Überaus selten ist trotz der zahlreichen Bevölkerung ein Ehebruch. Die Strafe folgt auf der Stelle und ist dem Mann überlassen: er schneidet der Ehebrecherin das Haar ab, jagt sie vor den Augen der Verwandten aus dem Hause und treibt sie mit Rutenstreichen durch das ganze Dorf.“
    Anfang der Vierziger Jahre ging eine Welle von dieser Stelle in der Germania inspirierten öffentlichen Erniedrigungen durch deutsche Städte. Metzen , die verdächtigt wurden Rassenschande mit Juden oder Kriegsgefangen aus Polen oder Russland begangen zu haben, wurden öffentlich die Haare geschert und mit erniedrigenden Schildern um den Hals und verhöhnenden Beschimpfungen aus dem Spalier durch die Straßen geführt. Waren es die Behörden, die damit angefangen hatten? Möglich. In anderen Städten jedoch organisierten die Umzüge spontan die Volksgenossen selbst.
    Und beim Weltenlenker, als wolle Tacitus Felder zum Thema Diddan zitieren, oder wahrscheinlich eher Felder Tacitus, las ich in der Germania dann folgende Stelle: „Gens non astuta nec callida aperit adhuc secreta pectoris licentia loci; ergo detecta et nuda omnium mens.“
    „ Der (Germanische) Stamm, weder listig noch trügerisch, zeigt bis heute die Geheimnisse des Herzens bei ungezwungenem Anlass. Deshalb ist der ganze Geist nackt zu sehen.“
    Adhuc = noch stets, bis jetzt, bis heute.
    Ha, bis heute! Das ist der Witz des Jahrhunderts. Korrektur: Das ist der Witz der Neuzeit.
     

* 25 *
     
    Dann kam unser Film. Schon auf der Zugfahrt zum Diddan hatte Felder von einem Streifen geredet, den er plante. Damals wusste ich nicht, was er damit meinte, aber als wir ein paar Tage, nachdem wir aus Diddan-Dorf zurück waren, bei ihm M – Eine Stadt sucht einen Mörder anguckten, wurde er konkret.
    Der Film ist von 1931 und einer der ersten deutschen Ton-Filme, und Felder fragte so apropos von gar nichts, ob uns was aufgefallen sei.
    „Was meinst du?“ Ich wusste wirklich nicht, was Felder jetzt schon wieder wollte. Erst hatte er uns den Film anschauen lassen, dann musste er wieder eine Frage damit verbinden. Wir hätten auch einfach nur einmal einen Film anschauen können. Und fertig.
    „ Ist euch wirklich nichts aufgefallen?“
    „ - - -“ Hubsi schaute zur Decke.
    „ Die Sprache. Ist euch an der Sprache nichts aufgefallen.“
    War das hier ein Seminar? Erinnerte mich zumindest daran.
    „Na, kommt schon.“
    „ - - -“
    „ ,Die Bullen', ,Knast', ,auf n Strich gehen', ,Polente', ,toi toi toi'. All diese Ausdrücke kommen einem bekannt vor, oder nicht? Der Film wurde vor mehr als achtzig Jahren gemacht, aber habt ihr ein Wort gehört, das heute nicht mehr benutzt wird?“
    Felder hatte wirklich recht. Das war erstaunlich.
    „Und: Könntet ihr eins nennen, dass neu dazu gekommen ist, das über den Randgruppenstatus hinausgewachsen ist, das wir benutzen, das aber im Film nicht vorkam?“
    Konnten wir nicht.
    „Es scheint doch fast so, als sei die Zeit stehen geblieben. Die Sprache zumindest ist es.“
    „ Kann schon sein. Aber das muss nichts bedeuten. Wahrscheinlich ändern sich Sprachen einfach nicht so schnell.“ Klar, wer weiß so was schon. Und auf was wollte Felder denn jetzt schon wieder hinaus?
    „ Kommt auf die Sprache an. Im englisch-sprachigen Afrika verwenden sie Wörter, Bob für die kleine Währungseinheit; Hullo zur Begrüßung und vexed für verärgert, die sind so altmodisch, die kennt man im Mutterland nur noch als alten Büchern.“
    „ Na und! Das kann Zufall sein!“ Hubsi ging es wie mir.
    „ Kann es natürlich, oder besser gesagt, könnte es. Allerdings weiß man ja, dass die Gesellschaften in Afrika verkrampft an ihrer Tradition festhalten. Sie leben in einer goldenen Vergangenheit, die es einfach nicht mehr gibt.“
    So, wusste man das!
    „Der Schluss daraus wäre doch, dass es mit der deutschen Gesellschaft ähnlich ist. Deshalb gehe ich so weit und behaupte: Die deutsche Sprache ist nicht mehr wirklich lebendig, sie stirbt langsam, versteht ihr.“
    Es war einfach schwer mit Felder zu diskutieren. Wahrscheinlich saß er den ganzen Tag zuhause und bereitete sich auf so was vor wie auf ein Referat an der Uni. Dessen war ich mir inzwischen sicher. Da blieb dir nur zuzuhören oder ihm höchstens ein paar Stichpunkte zuzuwerfen.
    Aber

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