Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)
doch die Erfolge waren so dürftig, dass es schon peinlich war. (Sarrail ist daher auch vor einigen Monaten seines Amts enthoben worden.) Eine Erklärung sind die grassierenden Krankheiten. Die Orientarmee zählt nominell rund 600 000 Mann, aber nachdem Malaria, Dengue-Fieber und andere Krankheiten das Ihre getan haben, bleiben nur circa 100 000 diensttaugliche Soldaten übrig. Die Krankenhäuser sind überfüllt.
Olive King kann jedoch nicht über Beschäftigungsmangel klagen. In der letzten Zeit hat sie mehrere Touren nach Korfu unternommen, oder richtiger nach Santi Quaranta, der Stadt, die der großen Insel genau gegenüberliegt. Das amerikanische Rote Kreuz hat den serbischen Sanitätseinheiten neunundzwanzig Krankenwagen geschenkt, und sie war eine von denen, die die neuen Fahrzeuge die gut dreihundert Kilometer lange Strecke 4 nach Saloniki gefahren haben. Inzwischen kennt King die Strecke ziemlich gut. Eine Tour hin und zurück dauert acht bis zehn Tage.
Das Fahren auf den schmalen und steilen Bergstraßen war oft schwierig, zuweilen sogar gefährlich. King hat Schneestürme und Wagenpannen erlebt. Sie hat festgestellt, dass sie den Strapazen häufig besser gewachsen ist als die männlichen Fahrer, «die Unbequemlichkeiten, Regen, Schlamm und Kälte verabscheuen». Sie selbst liebt das «Zigeunerleben». Gesundheitlich geht es ihr bestens, abgesehen von ihren häufigen Zahnschmerzen. Erkältungen kuriert sie immer mit einer Mischung aus kochend heißem Wasser, Rum und reichlich Zucker.
Es fällt auf, dass sie sich ihrer Arbeit mit der Hingabe eines Menschen widmet, der Ablenkung braucht. Ihre Liebesaffäre mit Jovi, dem serbischen Hauptmann, endete mit einer großen Enttäuschung. Das letzte Mal trafen sie sich im Oktober, als sie – erst jüngst für ihren Einsatz während des großen Brandes mit der serbischen Tapferkeitsmedaille in Silber ausgezeichnet – ihm auf Korfu begegnete. (Er war in offiziellem Auftrag auf dem Weg nach London.) Sie verbrachten ein paar Tage zusammen und verabschiedeten sich anschließend an der Fähre zum Festland. Sie vergoss ein paar Tränen – und hätte sich aber am liebsten hingesetzt und laut losgeheult. Es folgte eine Zeit der Einsamkeit und Niedergeschlagenheit, die ihren Tiefpunkt erreichte, als sie einen Brief von Jovi erhielt, in dem er ihr mitteilte, dass er eine andere Frau kennengelernt habe.
Jetzt sitzt sie also in ihrer Holzhütte und schreibt wieder einmal einen Brief an ihren Vater. Er hat ein Foto von ihr haben wollen, und sie verspricht, seinem Wunsch zu gegebener Zeit nachzukommen. Nicht dass es an praktischen Möglichkeiten mangelte. Es gibt jede Menge Straßenfotografen in der Stadt, und es fehlt ihnen nicht an Kunden: «Du siehst fast immer einen Soldaten, der mit einem verschämten, trotzigen Lächeln posiert, von spöttelnden Freunden umgeben.» Nein, das Foto muss aus optischen Gründen warten. Als ihr Wärmeaggregat einmal nicht starten wollte, goss sie ein bisschen Benzin hinein, und «wizz, waren meine Brauen und Wimpern und meine Stirnlocke futsch, schon zum zweiten Mal in diesem Jahr». King will sich nicht porträtieren lassen, bevor die Haare nicht nachgewachsen sind. Schon in einem früheren Brief hat sie ihrem Vater geschrieben, dass sie wahrscheinlich nie in ein normales Familienleben zurückkehren könne. «O Papa», schreibt sie:
Ich frage mich oft, was du von mir denken wirst, wenn wir uns nach diesen fünf langen Jahren wiedersehen. Ich bin sicher, dass ich furchtbar grob und raubeinig geworden bin, nachdem ich nur unter Männern gelebt habe, und ich bin nicht mehr die Spur süß oder goldig oder attraktiv.
Am Montag geht es wieder einmal nach Santi Quaranta. Oben an der Front geschieht wie üblich nichts und wieder nichts.
185.
Montag, 18. Februar 1918
Willy Coppens fliegt über das besetzte Brüssel
Coppens hat alles getan, was zu tun war: Er hat den neuen Motor probelaufen lassen, geprüft, ob die Tanks bis oben hin gefüllt sind, er hat eine kleine Karte beschafft, eine Maschinenpistole und eine Schachtel Sturmzündhölzer eingepackt – Letztere, um das Flugzeug in Brand zu setzen, sollte er zur Landung hinter den feindlichen Linien gezwungen sein –, und seine beste Uniformmütze eingesteckt, falls er gefangen genommen wird; denn in diesem Fall darf man ja nicht nachlässig gekleidet sein. Es ist ein schöner, klarer Wintermorgen mit wolkenlosem Himmel.
Um 8.35 Uhr hebt er mit seiner Maschine ab.
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