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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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eigenen Soldaten in der vordersten Linie brechen in ein gewaltiges Hurra-Geschrei aus – alles, um die französischen Verteidiger aus ihren Schutzräumen herauszulocken; danach setzt ein letzter, überraschender Platzregen von Granaten ein. Das bedeutet, dass die Infanterie – ohne jedes Hurra-Rufen – ihre Deckung verlassen hat und jetzt auf dem Weg zu den feindlichen Schützengräben ist.
    Was 1916 noch graue Theorie war, ist nun bis zur Vollendung perfektioniert. Zwei Feuerwalzen rollen vor der eigenen Infanterie her, wenn sie vorrückt. Zuerst Gasgeschosse, eine Mischung aus Chlor- und Tränengas. Danach Spreng- und Splittergranaten. Jede Minute werden die Schießwerte der Geschütze geändert, sodass die Geschosse fünfzig Meter weiter vorn landen. Nach einer Minute kommen weitere fünfzig Meter hinzu, kurz darauf noch einmal fünfzig Meter, und so fort.
    Das Artilleriebataillon gerät in französisches Gegenfeuer, eine Mischung aus Kartätschen und Gasgranaten. Sie sind gezwungen, die ganze Zeit Gasmasken zu tragen. (Es gibt inzwischen auch Schutzmasken für die Pferde.)
    Sulzbach weiß, was geschehen wird. Er kennt die Abläufe von früheren Durchbrüchen. Bald werden sie den Befehl zum Aufprotzen erhalten und der Infanterie auf ihrem Vormarsch folgen.
    Aber die Stunden verstreichen, ohne dass ein Befehl zum Aufprotzen ergeht. Es ist unmöglich zu wissen, was dort vorn passiert, in all dem Getöse und Rauch. Gegen Mittag reitet er ungeduldig voran, bis Dailly-Ferme. Er begegnet Scharen von französischen Kriegsgefangenen. Die fünfte Batterie hat schwere Verluste erlitten. Die dritte Batterie hat drei ihrer Offiziere verloren.
    Es wird Nachmittag.
    Es wird später Nachmittag.
    Kein Befehl zum Aufprotzen.
    Erst gegen Abend erreichen ihn Instruktionen. Aber es sind nicht die, die er erwartet hat. Die gesamte Division soll sich – zurückziehen! Das kann nur bedeuten, dass das Undenkbare geschehen ist. Sulzbach notiert im Tagebuch: «Wir sind sehr, sehr niedergedrückt, denn wenn solch Riesenangriff nicht sofort gelingt, dann ist es auch schon vorbei.»

204.
    Dienstag, 16. Juli 1918
    Edward Mousley schreibt auf einer Höhe über Bursa ein Sonett
     
    Es ist, als drängten sich zwei Seelen in seiner Brust. Vielleicht ist es auch nur der alte Wettstreit zwischen Vernunft und Gefühl.
    Ein Teil in ihm ahnt, dass der Krieg einen Wendepunkt erreicht hat. Es hat den Anschein, als kämen die Deutschen in Frankreich nicht weiter, und die Alliierten der Deutschen (Österreicher, Bulgaren und nicht zuletzt Osmanen) offenbaren eine fortgeschrittene Kriegsmüdigkeit. Mousley selbst geht es ziemlich gut. Das osmanische Kriegsgericht hat ihn von der Anklage wegen Fluchtversuchs freigesprochen. Sein Hintergrund als Jurastudent mit dem Schwerpunkt internationales Recht und seine Taktik, in bedrängter Lage zum Gegenangriff überzugehen, haben ihm geholfen. Er ist wieder bei den gefangenen höheren Offizieren im Badeort Bursa, wo er, natürlich unter sorgfältiger Bewachung, angeln und Fußballspiele verfolgen kann.
    Ein anderer Teil in ihm ist ohne Hoffnung, sieht verzweifelt seine besten Jahre in Gefangenschaft zerrinnen.
    An diesem Tag ist Mousley wieder einmal auf dem Weg, um ein Erfrischungsbad zu nehmen. Wie üblich wird er von einer Wache begleitet. Es ist ein heißer Tag. Mousley fühlt sich krank und müde. Sie wandern über eine der Anhöhen, die Bursa umgeben. Die Aussicht ist großartig, besonders hinüber zu dem hohen Berg Kesis. Mousley bemerkt nach einer Weile, dass er nicht mehr pünktlich zum Strand gelangen wird. Also setzt er sich am Wegesrand nieder. Dort schreibt er ein Sonett:
One day I sought a tree beside the road
Sad, dusty road, well known of captive feet –
My mind obedient but my heart with heat
Rebelled pulsating ’gainst the captor’s goad.
So my tired eyes closed on the «foreign field»
That reached around me to the starlight’s verge,
One brief respite from weary years to urge
Me to forget – and see some good concealed.
But skyward then scarred deep with ages long
I saw Olympus  22 and his shoulders strong
Rise over the patterned destinies of all the years
Marked with God’s finger by the will of Heaven –
Tracks men shall tread, with only Time for leaven –
That we might see with eyes keen after tears.  23
    «Aber», räumt er ein, als er später über diesen lyrischen Ausbruch nachdenkt, «Augenblicke wie diesen gab es selten.» In der pidginartigen Sprache, die er sich in den

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