Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)
kompliziertem Russisch), die Examensprüfung, die abschließende Zeremonie in einer orthodoxen Kirche (wo der Priester Mühe hatte, ihren Namen auszusprechen: «Floronz»), ihre Versuche, zum Dienst im neu eingerichteten Feldlazarett Nr. 10 zugelassen zu werden (was gelang, wiederum durch Vermittlung ihres früheren Arbeitgebers, des berühmten Herzchirurgen).
Farmborough schreibt in ihr Tagebuch:
Die Vorbereitungen für meine Abreise sind in vollem Gange. Ich kann es kaum erwarten, aber es bleibt noch viel zu tun, und die Einheit selbst steht noch nicht ganz. Meine Schwesternuniformen, Schürzen und Hauben sind schon genäht, und ich habe eine schwarze Lederjacke mit Flanellfutter gekauft. Dazu gehört eine dicke Weste aus Schaffell, im Winter zu tragen, deren russischer Name dusjegrejetika «Seelenwärmer» bedeutet. Ich habe gehört, dass unsere Einheit eine Zeit lang an der russisch-österreichischen Front in den Karpaten stationiert sein wird und dass wir reiten werden müssen; also ist meine Garderobe um hohe Stiefel und schwarze Kniehosen aus Leder ergänzt worden.
29.
Sonntag, 28. Februar 1915
René Arnaud erhält an der Somme einen Einblick in die Logik der Geschichtsschreibung
Ein kalter Frühlingsmorgen. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, aber Fähnrich René Arnaud ist schon wach. Im lichter werdenden Dunkel dreht er seine gewohnte Runde im Schützengraben, geht von Wachtposten zu Wachtposten, die im zweistündigen Wechsel abgelöst werden, kontrolliert sie, kontrolliert aber auch, ob der Feind etwas im Schilde führt. Alle wissen, dass jetzt der beste Zeitpunkt für Überraschungsangriffe ist. Nicht, dass die hier an der Somme häufig vorkämen.
Dies ist nämlich ein ruhiger Sektor. Vielleicht saust dann und wann eine deutsche Granate vorbei, doch sind es keine großen Kaliber, höchstens einmal eine 7,7er mit ihrem charakteristischen «schooooo … boom». Dann gibt es natürlich die Scharfschützen, die allen Unvorsichtigen auflauern, und die riskanten Kontrollgänge in einem der Verbindungsgräben, der über einen Hügel verläuft und an einer bestimmten Stelle einem deutschen Maschinengewehr eine offene Flanke bietet. Dort ist sein Vorgänger getötet worden, von einer Kugel aus diesem Maschinengewehr, die ihn in den Kopf traf. Es war übrigens das allererste Mal, dass Arnaud einen Gefallenen sah. Als der Körper auf der Bahre vorbeigetragen wurde, der Kopf und die Schultern von einem Stück Plane bedeckt und die rote Uniformhose unter blauen Überzugkleidern verborgen, war Arnaud, trotz seines Mangels an Erfahrung, nicht besonders erschüttert. «Ich war so voller Leben, dass es mir unmöglich war, mich an seiner Stelle auf einer Bahre liegend zu sehen, mit dieser Gleichgültigkeit, die die Toten immer ausstrahlen.»
Bei Kriegsausbruch war Arnaud einer von denen, die jubelten. Er war gerade einundzwanzig Jahre alt geworden, sah aber kaum älter aus als sechzehn. Seine einzige Befürchtung war, dass der Krieg zu Ende gehen könnte, bevor er selbst an die Front kam: «Welche Schande wäre es, eins der größten Abenteuer meiner Generation nicht miterleben zu dürfen.»
Diese letzte Dämmerungsstunde kann für den Unerfahrenen nervenaufreibend sein:
Als ich am Rand des Schützengrabens stehenblieb und über das Niemandsland hinausblickte, glaubte ich zuweilen, dass die Pfähle unseres dünnen Netzwerks aus Stacheldraht die Silhouetten einer deutschen Patrouille waren, die dort knieten, um jeden Moment loszustürmen. Ich starrte diese Pfähle an, sah, wie sie sich bewegten, hörte, wie die Jacken über die Erde streiften und die Klingen der Bajonette klirrten … Und dann wandte ich mich zu dem Wachtposten um, und sein Gleichmut beruhigte mich. Solange er nichts sah, war da auch nichts – nur meine eigenen ängstlichen Halluzinationen.
Dann kommt der Augenblick, da die ersten Vögel zu singen anfangen und die Konturen der Landschaft unmerklich aus dem milchig grauen Morgenlicht hervortreten.
Er hört einen Schuss, dann noch einen, zwei, mehrere. Nach kaum einer Minute knattert überall im Schützengraben das Gewehrfeuer. Arnaud stürzt davon, um die Schlafenden zu wecken. In der Türöffnung des Unterstands kommen ihm Soldaten mit ihren Waffen in der Hand entgegen und versuchen sich dabei ihre Tornister überzustreifen. Von den feindlichen Linien sieht er eine rote Leuchtrakete aufsteigen. Er weiß, was das bedeutet: ein Signal für die deutsche Artillerie. 10 Rasch
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