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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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unmittelbaren Bedarf stillen konnte, bis die Pioniertruppen ihre Brunnen fertiggestellt hatten. Und Dawkins und seine Männer hatten schnell gearbeitet und mehrere Brunnen gebaut sowie verschiedene Plätze eingerichtet, wo Menschen und Tiere das lebenspendende Nass finden konnten.
    Doch es konnte zu keinem Zeitpunkt von Überfluss die Rede sein. So gab es nicht genügend Wasser, um sich damit zu waschen. Für die persönliche Hygiene musste man ein Bad im Meer nehmen. Doch wird ihnen davon abgeraten, sich mit Meerwasser die Zähne zu putzen: wegen der im Wasser treibenden Tierkadaver und der vor der Küste ankernden Schiffe. Viel Trinkwasser geht auch verloren, weil die Leitungen, die von den Brunnenpumpen ausgehen, oft leck sind, sei es durch Artilleriefeuer, sei es einfach durch die Gedankenlosigkeit von Soldaten, die Wagen oder Geschütze über die dünnen und zerbrechlichen Rohre rollen lassen. Seit einiger Zeit sind Dawkins und seine Männer damit beschäftigt, die Leitungen einzugraben.
    Es ist ein gewöhnlicher Morgen, wenn auch grau und regnerisch. Dawkins lässt seine Soldaten in der üblichen Ordnung antreten und teilt den verschiedenen Gruppen ihre Aufgaben für den Tag zu. Eine besteht darin, Wasserleitungen unter der Erde zu verlegen. Wenig glorreich, sicher kein Hochglanzmotiv für illustrierte Magazine, aber dennoch notwendig. Einige der größten Unruhestifter sind zufällig in seinem Zug gelandet. Doch der Ernst der Lage, sein Führungstalent und nicht zuletzt seine aufrichtige Fürsorge haben dazu beigetragen, den schlimmsten Aufruhr zu dämpfen, es hat sich zwischen diesen unverbesserlichen Meckerern und Drückebergern und dem jungen, sanften Hauptmann sogar ein gewisses Gefühl von Zusammenhalt entwickelt.
    Es ist noch Morgen, als sie anfangen.
    Der Regen fällt.
    An diesem Vormittag wartet auf eine der Gruppen eine besonders gefährliche Etappe. Man kann erkennen warum: Auf einer Strecke von rund hundert Metern liegen etwa dreißig tote Maulesel, von türkischen Granaten getroffen. Der Graben ist jedoch nachts schon ausgehoben worden. Jetzt müssen nur noch die Rohre verlegt und miteinander verbunden werden. Noch ist es ruhig und still. Die türkische Artillerie schweigt. Das einzig Unangenehme sind diese toten Tiere mit ihren aufgequollenen Bäuchen und ihren steifen, abstehenden Beinen. Der Graben führt an ihnen vorbei, neben ihnen, unter ihnen, ja teilweise zwischen ihnen. Die sieben Soldaten sind bald blutbeschmiert. Dawkins ist einer von ihnen. Es ist kurz vor zehn.
    Plötzlich hört man das Pfeifen einer Granate.
    Es ist die allererste an diesem Morgen. Das Pfeifen wird zu einem Heulen. Das Heulen endet mit einem harten, scharfen Knall. Das Geschoss explodiert genau über den Köpfen der sich duckenden Soldaten, die dort mit ihren Leitungsrohren stehen, aber es ist nur ein Schrapnell, sie bleiben verschont: Die Ladung spritzt fünfzehn Meter entfernt in den Boden.  40 Einer der Soldaten, ein Mann mit Namen Morey, dreht sich um. Er sieht gerade noch, wie William Henry Dawkins umfällt, auf die ganz besondere Art und Weise, die man bei Schwerverletzten beobachten kann, wenn der Fall nicht von den Reflexen des Körpers gesteuert wird, sondern lediglich von den Gesetzen der Schwerkraft.
    Sie stürzen zu ihm. Dawkins wurde am Kopf getroffen, an Kehle und Brust. Sie heben ihn von der nassen Erde auf, tragen ihn zu einem Unterstand. Hinter ihnen explodiert mit kurzem, kräftigem Knall eine weitere Granate. Sie legen ihn nieder. Blut und Regen vermischen sich. Er sagt nichts mehr. Er stirbt vor ihren Augen.
***
    Am Abend desselben Tages, dem 12. Mai, verlässt Herbert Sulzbach nach zwei Tagen Urlaub sein Elternhaus in Frankfurt am Main. Er schreibt in sein Tagebuch:
     
«Eine solche Abfahrt, wieder in den Krieg, hatte man sich eigentlich anders vorgestellt, und auch hier zeigt es sich, wie abgestumpft man wird: Man fühlt nicht, dass es ein Ereignis ist, man hat nicht den Gedanken oder das Gefühl, dass man nicht wiederkommen wird, sondern man fährt ab, als fahre man, wie in der Schulzeit, in die Sommerferien. Schlimmer ist der Abschied freilich wohl für die zu Haus Gebliebenen.»

42.
    Freitag, 14. Mai 1915
    Olive King scheuert den Fußboden in Troyes
     
    Der Tag ist kalt und windig. Zur Abwechslung, könnte man sagen, denn in der letzten Zeit ist das Wetter angenehm warm gewesen. Sie haben sogar in einem nahegelegenen Kiefernwald unter freiem Himmel schlafen können, auf den noch

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