Schokoherz
sobald ich die Wohnzimmertür hinter mir geschlossen hatte, rannte ich förmlich in die Küche. Ich nahm den Deckel vom Topf. Mhm, die carbonades rochen köstlich. Würden sie reichen? Ja, kein Problem. Was war mit dem Gemüse? Dito. Die Brötchen? Nein, ich hatte nur acht. Vanessa würde meines kriegen müssen. Nachtisch? Nein. Nie im Leben würde ich den kleinen pot au chocolat aufgeben, der inzwischen zu meinem Markenzeichen-Dessert geworden war. Sie würde den von Tom bekommen. Also musste ich lediglich ein weiteres Gedeck auf meinem perfekt gedeckten Tisch unterbringen. Zähneknirschend marschierte ich ins Esszimmer, schob Stühle enger zusammen, legte einen weiteren Satz Besteck aufund trat zurück, um den Effekt zu begutachten. Nicht schlecht. Hoffentlich war sie dünn. Sie würde nicht viel Ellenbogenfreiheit haben.
Darüber hätte ich mir keine Sorgen machen brauchen. Als es endlich klingelte, war von meinen gerösteten Cashewkernen mit Rosmarin längst nichts mehr übrig. Meine Gäste machten einen merklich hungrigen Eindruck und fingen an, nach ihrem dritten Drink auf leeren Magen ein wenig zu lallen. Ein Blick auf Vanessa bestätigte jedoch, dass sie so herzerweichend schmal war, dass sie keinerlei Schwierigkeiten haben würde, sich an ihren Platz zu quetschen. Sie war nicht nur dünn wie ein Strohhalm, sondern auch noch unnötigerweise bildschön. Also wirklich, mussten ihre Augen so blau sein? Und musste ihr kräftiges blondes Haar in solch weichen Wellen über den Rücken fallen? An den Reaktionen der Männer, die plötzlich alle, inklusive Simon Blair, wie von Zauberhand aufgerichtet kerzengerade dasaßen und den Bauch einzogen, konnte man ablesen, dass sie im Gegensatz zu mir an der äußeren Erscheinung des Neuankömmlings absolut nichts auszusetzen hatten.
Natürlich wurde meine Sitzordnung durch Vanessas plötzliches Auftauchen völlig über den Haufen geworfen, doch davon ließ sie sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie wich einfach Tom nicht mehr von der Seite und quetschte sich frech neben ihn. Der Rest unserer Gäste verteilte sich etwas verdutzt um den Tisch. Vanessa schien der Stimmung offensichtlich einen ziemlichen Dämpfer versetzt zu haben, vielleicht weil alle Männer – selbst Fabrice, der Idiot – an ihren Lippen hingen und. die Frauen damit beschäftigt waren, ihr giftige Blickezuzuwerfen und mich mitfühlend anzusehen. So konnte es auf jeden Fall nicht weitergehen.
»Nun, Vanessa«, gurrte ich. »Alle Anwesenden außer mir scheinen Sie schon zu kennen. Deshalb nehme ich an, Sie arbeiten für die Europäische Kommission?«
»Ja, man könnte sagen, ich stehe mit der Kommission in Verbindung.« Ihre quietschende Stimme war eine grauenhafte Mischung aus Marilyn Monroe und Minnie Mouse. »Ich arbeite mit Tont«
Ich kam mir ein bisschen so vor, als hätte mir jemand den Stuhl weggezogen, auf den ich mich gerade setzen wollte. »Mit Tom? Auf welche Weise? Ich meine, in welcher Funktion?« Ich sah zwischen den beiden hin und her und versuchte, mir einen Reim darauf zu machen. Tom war plötzlich eifrig damit beschäftigt, unseren Gästen nachzuschenken. Wie konnte diese Frau mit Tom zusammenarbeiten? Meines Wissens saß er allein in seinem kleinen Büro. Ein Büro von der Größe einer Schuhschachtel. Da gab es doch sicher keinen Platz für jemand anderen. Und von einer dünnen, vollbusigen Blondine war auch noch nie die Rede gewesen. Ich erinnerte mich sogar daran, dass er erzählt hatte, er habe nur einen einzigen kleinen Schreibtisch.
»Ach, ich tue alles, was er will«, schnurrte Vanessa und zerkrümelte ein Brötchen. Mein Brötchen, verdammt noch mal.
»Wie nett. Tom? Könntest du mir kurz mal ... äh in der Küche helfen?« Ich konnte keinen Blickkontakt zu ihm herstellen, da er mir den Rücken zukehrte.
»Bin gleich da. Schenke nur schnell nach«, antwortete er ruhig. Alle Augen, einschließlich der Augen von Fabrice, waren auf mich gerichtet. Ich brachte irgendwieein freundliches Lächeln zustande und versuchte, nicht allzu offensichtlich aus dem Zimmer zu stürmen.
In der Küche fuhr ich herum, als ich hinter mir Schritte hörte. Ich wollte gerade loslegen, als ich sah, dass es nicht Tom, sondern Fabrice war, der sich hereingeschlichen hatte und nun beunruhigend dicht vor mir stand.
»Ich wollte Ihnen nur kurz sagen, wie – wie sagt man – umwerfend Sie heute Abend aussehen«, sagte er, und seine Augen entzündeten in mir Gefühle, die ich wirklich nicht haben sollte,
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