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Schossgebete

Schossgebete

Titel: Schossgebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Roche
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Erleichtert?«
    »Ja, weißt du doch, ich hasse es, aufgeregt zu sein, und wenn was ausfällt, weswegen ich aufgeregt bin, dann bin ich erst mal erleichtert. Wir holen das nach, ja, sobald ich nicht mehr befallen bin von diesen Viechern.«
    Er weiß ganz genau, was das für eine Überforderung für mich ist, der ich mich da jedes Mal stelle, vorher Wahnsinnsaufregung bis Angst, nachher dicke Hose, weil ich es wieder mal geschafft habe, ich habe es überlebt: Mein Mann ist, obwohl er Sex mit einer anderen hatte, immer noch mit mir zusammen, was für ein Wunder! Juchuh!
    Ich sehe ihm die Enttäuschung an. Er freut sich immer nur darauf. Pure Vorfreude. Er ist viel klarer als ich. Wir machen, wie jeden Abend, den Fernseher an und schweigen ein bisschen, er wegen seiner Enttäuschung, dass der Puffbesuch morgen früh ausfällt, ich, weil die Würmer mich mit ihrem Gejucke wahnsinnig machen. Ich hasse es, ihn zu enttäuschen. Er ist wirklich sehr niedergeschlagen deswegen. Fuck!
    Wir glotzen beide stumm in den riesengroßen Fernseher. Mein Mann denkt, ich gucke fern, aber ich grübele wieder mal heimlich über den Unfall nach, ich lasse den immer gleichen Ablauf Revue passieren, als wäre ich dabei gewesen. Um mir immer wieder zu sagen: »Ja, Elizabeth, so war das, damit musst du jetzt klarkommen, das ist die Wahrheit, das ist wirklich passiert.«
    Ich hocke auf dem Boden des Flughafens und versuche in meinem Kopf rauszufinden, ob das stimmt, was ich meinem Vater gesagt habe. Wer alles in dem Auto gesessen hat. Ich fühle eine Sperre, wenn ich über die Namen nachdenke. Es sind so viele! Um meinem Vater zu helfen, darf ich keinen Fehler gemacht haben. Ich bekomme es nur mühsam zusammen. Ich sage mehrmals laut vor mich hin: Mama, Harry, Lukas, Paul und Rhea. Ja, ich glaube, das stimmt.
    Die Mutter von meinem Freund, meine eigentlich zukünftige Schwiegermutter, geht zu dem Busfahrer, er hat wirklich ein Schild mit unseren Namen in der Hand, das hat schon mal geklappt, zum Glück erklärt sie ihm alles. Ich habe das Gefühl, wenn ich es jemand Fremdem erkläre, wird es tatsächlich wahr. Wahrer. Von Weitem kann ich sehen, wie sein Gesicht sich verändert. Er war vorher ganz locker und lustig gewesen, mit seiner englischen Hackfresse. Je länger sie aber mit ihm spricht, er guckt die ganze Zeit zu uns rüber, desto mehr verfinstert sich sein Ausdruck.
    So, wie er jetzt guckt, guck ich wahrscheinlich auch. Verzerrtes Horrorgesicht. Jede Maske ist gefallen. Kein Muskel bewegt sich. Ich muss nicht mehr schauspielern, gelächelt wird nicht mehr. Lange nicht mehr. Ab hier ist jede Bewegung wie in Trance, ganz ruhig, vollautomatisch. Ich funktioniere nur noch.
    Irgendwann müssen wir wieder aufstehen. Wir laden unser Gepäck in den Buskofferraum. Ich setze mich, wie früher auf dem Schulweg, wo die Coolen immer saßen, in die letzte Reihe. Mein nun nicht mehr zukünftiger Mann setzt sich neben mich. Wir machen weiter nach Plan. Was sollen wir sonst tun? Geplant war: vom Flughafen aus alle in ihre Pensionen zu fahren, und danach sollten wir, das Brautpaar, als Letztes im Hochzeitshotel abgesetzt werden. Nachdem wir seine Familie überallhin verteilt haben, will ich aber nicht mehr ins Hotel. Ich kann das nicht aushalten. Ich habe sehr viel Bargeld mit, wie sich das für eine gute Braut gehört, und biete dem Busfahrer Geld an, damit er der Planänderung zustimmt und uns zu meinen Verwandten nach London fährt. Er hat zum Glück keinen Anschlussjob und fährt uns dahin. Die Fahrt dauert eineinhalb Stunden.
    Mein Freund und ich sitzen in diesem großen Bus, ganz alleine mit dem besorgt nach uns in den Rückspiegel schauenden Busfahrer. In der Zeit gebe ich meinem Freund das Telefon, da sind alle Nummern von meinen englischen Verwandten gespeichert. Er ruft den Onkel und die Tante an, und ich höre ihm zu, wie er das Unglaubliche am Telefon beschreibt. Ich denke, er lügt. Das kann nicht sein. Ich finde, er soll sein Lügenmaul halten. So ein Quatsch, was er da erzählt, der spinnt ja wohl. Er sagt, es wird keine Hochzeit geben. Ja. Wahrscheinlich wirklich nicht. Es ist sehr schwer, nach den monatelangen Planungen einfach umzudenken. Alles in mir will die Planungen zu einem Ende bringen. Jetzt darf ich nicht mehr. Wir sitzen schweigend nebeneinander. Er hält meine Hand. Was soll er auch sonst machen? Das lernt man nicht, wie man sich in einer solchen Situation hilfreich, sinnvoll verhalten soll. Wie der Mann bei der Geburt. Was soll

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