Schottische Disteln
wild und unberechenbar und einmalig.«
»Ryan ist auch vernarrt in diese Gegend. Er könnte Weltreisen machen, aber was tut er? Er zieht mit seinen Schafen in die Highlands.«
»Das ist es, was mir an ihm gefällt, Mary, dieser Wunsch nach dem einfachen Leben. Mit dem anderen Ryan McGregor kann ich nichts anfangen.«
»Du kennst ihn ja noch gar nicht.«
»Stimmt, aber ich weiß nicht, ob ich das überhaupt will. Schau mal hier, wie er mit den Hunden herumtobt, und hier die Schafe vor seinem Haus und die Blumen.«
»Das sind Disteln, unsere Nationalblumen.«
»Ich weiß. Und das hier ...«
Andrea wurde blass, dann musste sie sich plötzlich übergeben, und bevor Mary nach der Schwester klingeln konnte, hatte sie das Bewusstsein verloren. Mary war aufgesprungen. Die Schwester kam sofort, gleich darauf ein Arzt und dann der Professor.
»Sie hat einen Schock, mein Gott, was ist denn jetzt passiert?«
Man schloss sie an ein Beatmungsgerät an, sie bekam Injektionen, dann stabilisierte sich der Herzschlag wieder. Der Atem wurde gleichmäßig, und die akute Gefahr war gebannt.
»Was ist passiert?«, fragte der Professor, und Mary deutete auf die Fotos.
»Wir haben uns diese Aufnahmen angesehen, plötzlich musste sie erbrechen, und dann war sie auch schon ohnmächtig.«
McAllan besah sich die Fotos. »Das hier war es.« Er hielt ein Bild hoch, und als Mary genau hinsah, erkannte sie Ruinen und über den Ruinen einen Schwarm Krähen, der genau auf Andrea zugeflogen kam.
»Mein Gott, jetzt weiß sie es.«
»Wir hätten damit rechnen müssen. Woher kommen diese Aufnahmen?«
»Sie bekam sie heute mit der Post. Bevor ich sie verstecken konnte, hatte sie den Umschlag gesehen, und dann ließ sie ihn nicht mehr aus den Händen.«
Mary schluchzte. »Ich hätte schneller reagieren müssen. Ich hätte mich durchsetzen müssen, aber ich konnte doch nicht ahnen, dass solch ein Foto dabei war.«
»Nein«, tröstete der Arzt, »das konnten Sie wirklich nicht wissen. Beruhigen Sie sich, sonst habe ich gleich zwei Patienten hier.«
Er beugte sich zu Andrea hinab. »Ich glaube, es geht schon wieder besser. Nehmen Sie das Beatmungsgerät ab, sie bekommt wieder genügend Luft«, wies er die Schwester an und gab Andrea noch eine Injektion.
»Wir lassen sie hier im Zimmer. Die Intensivstation mit den ganzen Apparaten möchte ich ihr ersparen, aber sie muss genau überwacht werden. Schwester, sorgen Sie dafür, und bleiben Sie im Raum, mindestens in den nächsten sechs Stunden.«
McAllan sammelte die Fotografien ein. »Ich nehme die Bilder an mich und gebe sie Mr McGregor, wenn er kommt. Sagen Sie ihr das, wenn sie danach fragt.«
Mary nickte. »Professor, noch etwas, sie möchte erst einmal keinen Besuch, hat sie gesagt. Was soll ich Mr McGregor sagen, ich kann ihm doch nicht verbieten, hier hereinzukommen?«
»Ich werde mit ihm sprechen. Er soll selbst entscheiden, wie er sich verhält. Außerdem glaube ich nicht, dass er in den nächsten Stunden Zeit für einen Krankenbesuch findet. Er hat eine Menge Ärger am Hals, den ihm die Umweltschützer seit gestern servieren. Also, machen Sie sich keine Sorgen, trösten Sie Miss Steinberg, und helfen Sie ihr über die neue Klippe hinweg.«
XVIII
Ryan hatte eine furchtbare Nacht hinter sich: Konferenzen, Diskussionen, Telefongespräche, Besichtigungen. Die Aufregung nahm kein Ende und die Angst der Mitarbeiter auch nicht. Wo war geschlampt worden, wer war schuld, wen traf der Zorn des Chefs?
Ryan hatte längst Krawatte, Weste und Jacke abgelegt und arbeitete in Hemdsärmeln, ausgelaugt und verschwitzt, denn es war eine schwüle Nacht, und er hatte seit ewigen Zeiten nicht mehr durchgeschlafen – jedenfalls kam es ihm so vor.
Welch ein Glück, dass Jane da war und ihm zur Hand ging. Er hatte seinen Vorzimmerdamen vor Stunden angeboten, nach Hause zu gehen, aber Jane war geblieben, führte Protokolle, versorgte ihn mit Kaffee und Sandwiches, stellte Telefonverbindungen her, war zur Stelle, wenn er Hilfe brauchte.
Er sah ihr nach, als sie aus dem Zimmer ging, um ein paar Stichworte in den Computer einzugeben, die ihm spontan eingefallen waren und die er morgen bei eventuellen Verhandlungen brauchte. Er bewunderte sie im Stillen. Sie war eine gut aussehende und kompetente Frau, die einfallsreich und loyal mitdachte und ihn unterstützte. Natürlich, die Personalabteilung schickte ihm nur die besten Mitarbeiterinnen, aber so wie heute Nacht hatte er diese Jane noch nie erlebt.
Sie
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