Schottlands Wächter (German Edition)
ein.
„Wenn ihr mir nun bitte folgen würdet?” Sie ging voran. Die Mädchen folgten ihr durch ein weiteres Zimmer ins Freie. Bryanna staunte, denn sie waren tatsächlich unter Wasser. Annies Häuschen stand auf einem großen Felsen. Es war umgeben von gleichmäßigen Beeten mit Heilkräutern. Ein langes, flaches Gebäude stand direkt auf der anderen Seite des Gartens.
„Das ist das Krankenhaus”, sagte Annies Tochter. Sie zeigte in den Schatten des Felsens auf dem Meeresboden. „Dort unten sind die Wohnhäuser der meisten Finne und dort drüben sind die Hallen der Erkenntnis. Gleich könnt ihr alles sehen. Wartet einen Moment.”
Das Meer um sie herum begann zu leuchten. In wenigen Minuten war ganz Finfolkaheem hell. Bryanna stockte der Atem. Die Hallen, die in einiger Entfernung im Mittelpunkt der Siedlung standen, waren so schön, dass ihr die Tränen in die Augen schossen. Türmchen aus in sich gedrehten, weißen Korallen schmiegten sich an Wände aus rauchigem Kristall. Die edelsteinbesetzten Dächer der Hallen glitzerten wie ein Märchenschatz aus tausendundeiner Nacht. Perlen und Edelsteine umrahmten Fenster und Türen. Bunte Meerespflanzen hingen von Balkonen und wiegten sich in der Strömung. Zahllose Fische schwammen zwischen den Hallen hin und her. Weit, weit über ihnen zeigte ein schwacher Schimmer an, wo die Sonne zu finden war.
Bryanna atmete tief durch. Ihr fehlten die Worte.
„Ist das schön!”, entfuhr es Kaylee.
Ein Lächeln spielte um die Lippen von Annies Tochter.
„Nun kommt. Wir wollen Mutter nicht warten lassen.” Sie führte die beiden Mädchen in das flache Gebäude des Krankenhauses. Ein leises Rauschen durchzog die Flure aus weißen Korallen. Buntes Licht tanzte über Wände und Decken und die Zimmer waren nicht durch Türen, sondern durch Vorhänge aus Seegras vom Flur getrennt. Annie Norn erwartete die beiden Mädchen in einem großen, hell erleuchteten Raum, dessen scheibenlose Fenster den Blick auf die Hallen der Erkenntnis freigaben.
„Ah, da seid ihr ja. Da ihr nicht viel Zeit habt, wollen wir gleich anfangen.” Sie zeigte auf eine weich gepolsterte Liege, die in der Mitte des sonst leeren Raums stand. Ein Mädchen von etwa fünf Jahren lag mit geschlossenen Augen darauf. Sie atmete schwach und ungleichmäßig. „Das ist Millie. Sie hat Bauchschmerzen und wir wollen nun herausfinden, wo der Krankheitsherd sitzt. Seht beide genau hin.”
Bryanna schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht gekommen, um noch mehr zu lernen. Ich will nur so schnell es geht die Cailleach aufsuchen, damit sie mir den Weg zu meiner Mutter zeigt.”
„Heilen ist nützlich, auch wenn du nicht Wächter wirst.” Annie zeigte erneut auf Millie. „Willst du sie leiden lassen?”
„Warum heilst du sie nicht selbst?”
Annie sah Bryanna in die Augen. „Es ist jenseits dessen, was ich leisten kann. Eure Kraft ist eine Gabe, die ihr nicht verkümmern lassen solltet. Ohne dich und Kaylee wird Millie in wenigen Wochen sterben. Ich kann ihr nur die Scherzen erträglich machen.”
Bryanna kämpfte mit sich. Also gut, dies ist ein Notfall. Also, was ist so schlimm daran, noch mehr Wissen zu sammeln, wenn ich dadurch ein Kind retten kann? Sie war sich sicher, dass jede weitere Information, die sie auf ihrer Reise sammelte, sie dem Amt als Wächter unausweichlich nähre bringen würde. Sie spürte, wie sehr sie sich danach sehnte, ihr neues Wissen zu benutzen. Kann es mich so weit bringen, dass ich meinen eigenen Vater töten würde, um es zu behalten? Sie kaute auf ihrer Unterlippe.
Millie schlug die Augen auf und sah sie an. „Sind sie das? Kann eine von ihnen meinen Krebs besiegen?”, fragte sie so leise, dass Bryanna es kaum verstehen konnte. Annie nickte und kniete sich neben das Kind. Sie sah zu Bryanna auf und zog fragend eine Augenbraue in die Höhe. Bryannas Herz schmolz.
„Also gut. Fangen wir an.”
Annie sah Kaylee mit dem gleichen Blick an.
„Ich bin dabei”, sagte Kaylee heiser.
Annie seufzte und Bryanna spürte ihre Erleichterung. Sie hockte sich neben Millies und nahm ihre linke Hand. Kaylee trat auf die andere Seite der Liege und nahm ihre Rechte.
„Was müssen wir tun?”, fragte sie.
Annie trat ans Kopfende der Liege und legte ihre Hände auf Millies Scheitel. Ihre leise Stimme füllte den Raum. „Zunächst werde ich Millie in einen tiefen Schlaf versetzen, in dem sie keine Schmerzen spürt.”
Bryanna sah, wie die Augenlider des kranken Mädchens flatterten und
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