Schreckensbleich
wäre dort nichts mehr, was er geben könnte. Er setzte sich auf und wischte sich den Schnee von Gesicht und Jacke. Seine Hand fühlte sich an wie ein Bleigewicht. Er schob den Lauf der AR-15 über den Kühler des Autos und drückte ab. Autoalarmanlagen schrillten, ausgelöst durch die Vibration der Kugeln; der Lärm war ohrenbetäubend. Ein weiterer Donnerschlag der Repetierflinte, wieder erbebten die Autos. Grady sah sich um, doch Hunt und Nora waren nicht zu sehen.
Er wartete, spähte über den Wagen, und als er den Cop nicht sah, hastete er fast im Laufschritt los, zusammengekrümmt, während seine Beine vorwärtseilten, folgte Hunts und Noras frischen Spuren im Schnee. Weiter oben an der Straße konnte er sie sehen, wie sie von einem Laternenschein in den nächsten tauchten. Grady stolperte und knallte hart gegen die Seite eines parkenden Autos, doch er war noch immer in Bewegung. Es fiel ihm schwer, sein Gesichtsfeld zu fokussieren. Seinen Messerkoffer hatte er verloren, sein letztes Magazin war in den Bauch der AR-15 eingeklinkt, und er rannte und hielt die Waffe mit beiden Händen fest. Seine Beine arbeiteten hinter den beiden her, seine Seite stand in Flammen, und jetzt kam der Schmerz der Bauchwunde und stach bei jedem Schritt auf ihn ein.
***
Drake wartete und sammelte sich, um einen weiteren Blick über das Wagendach zu riskieren. Mit beiden Händen umklammerte er die Pumpgun und atmete ein. Die Zeit schien langsamer zu werden, alles wurde heller, Schneeflocken fielen, aschehell, das Geräusch eines Autos auf schneebedeckter Straße in einiger Entfernung; adrenalingesättigte Sinne schärften seinen Verstand.
Das Handy in seiner Tasche begann zu vibrieren. Er griff nicht danach. Nichts geschah. Es wurden keine Schüsse auf ihn abgefeuert, nichts. Rasch streckte er den Kopf über die Kühlerhaube und sah auf die Straße. Dort war niemand, nur die Reihe der Autos, von einer dünnen Schneeschicht bedeckt und von seiner Schrotflinte demoliert. Er behielt den Kopf unten und eilte über die Straße, Glasscherben im Schnee, kein Blut, überall leere AR-15-Patronenhülsen. Ein Motor sprang an, ein Stück weiter unten am Block, und sofort folgte das Knattern des Automatikgewehrs.
***
Als Grady den zweiten Block erreichte, sah er, dass die beiden bereits im Truck saßen. Er nahm festen Stand, Schnee fiel und landete auf seinem Wimpern, der kalte Wind blies ihm gegen den Rücken. Der Motor des Trucks sprang an, und er zielte; seine erste Garbe fetzte an der Wagenreihe entlang und schrammte über die Seite des Trucks; Kugeln spielten wie Feuerwerkskörper auf den Metallkarosserien der Autos.
Er war zu weit weg, um irgendetwas anderes als einen Glückstreffer zu landen. Der Truck entfernte sich zu schnell für einen Schuss mit dem Zielfernrohr, sein Kopf waberte. Er richtete sich mit Gewalt auf und zielte abermals, ließ die Kugeln diesmal fliegen, wohin sie wollten. Es interessierte ihn nicht mehr, es war ihm egal, ob er das Heroin bekam oder nicht. Er wollte es nur hinter sich haben. Er wollte, dass Hunt tot war. Dass er tot war, und dass er selbst nichts mehr mit dieser verdammten Geschichte zu tun hatte.
Der Truck röhrte auf die Straße hinaus. Die Reifen zogen eine Schneewolke hinter sich her, drehten durch. Eine letzte Salve; Funken stoben von dem Blech auf, als der Truck davonraste. Mit knatternder Waffe trat Grady auf die Straße hinaus, Heckscheiben barsten. Hunts Truck kämpfte im Schnee, dann schlidderte er um die Ecke, Hunts Gesicht war einen Moment lang im Profil sichtbar, als er die Biegung nahm. Der breite Truck schlingerte, und dann war er weg.
***
Hunt fuhr an den Straßenrand. Der Flughafen lag auf der einen Seite, eine leere, vierspurige Straße dehnte sich vor ihnen. Stacheldrahtzaun entlang der Straße, so weit er sehen konnte. Er untersuchte Nora auf Schusswunden. »Blutest du irgendwo?«, fragte er. »Bist du getroffen worden?« Er war völlig außer sich. Nora hatte nicht einmal Zeit zu antworten, während seine Hände über sie glitten.
»Alles okay«, brachte sie hervor. Sie sah ihn an, und er konnte ihre aufgeplatzte Lippe sehen, von Gradys Ohrfeige. Er berührte die Stelle mit der Hand, das Blut trocken und glatt auf ihrer Lippe, eine kleine Schwellung über den Zähnen. Auf Wangen und Stirn hatte sie noch ein paar weitere Striemen, er wusste nicht, wovon. Nichts schien zu bluten. Sie drehte ihm den Rücken zu, und er löste die Schnur von ihren Handgelenken.
Da war noch der
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