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Schreckensbleich

Schreckensbleich

Titel: Schreckensbleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urban Waite
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schwieligen Händen. Er konnte ihr gemeinsames Leben in ihrem Gesicht erkennen, genauso, wie er sein eigenes im Spiegel sah. Beide mit vortretenden Wangenknochen, die Körper von geraden Kanten und knochenscharfen Spitzen definiert, die von den Ellbogen bis hinunter zu den Knien überall hervorragten. Harte Arbeit hatte ihr zu früh die Schönheit genommen, aber andererseits, wenn er sie jetzt so ansah, war da nach all diesen Jahren eine Schönheit anderer Art. Er liebte sie, und als sie einfach nur dastand und ihn ansah, lächelte er, machte die ungefähr fünf Schritte von dort, wo er am Fenster gestanden hatte, und drückte ihr einen spielerischen Kuss unters Kinn. »Keine Sorge«, sagte er, die Stimme so kiesrauh wie Stromschnellen im Fluss. »Wir kriegen das mit Eddie schon geregelt.« Sie sah ihn zweifelnd an, als sei er ein unartiges Kind, das ständig Versprechungen machte, die es nicht halten konnte.
    »Ich mache mir Sorgen«, erwiderte sie, »so ist das nun mal, und dagegen kannst du nichts machen.«
    »Nein«, gab er zu. »Aber ich wünschte, ich könnte es.«
    Nora stand noch einen Augenblick da und sah ihn an. Vielleicht nur, um ihn anzusehen. Vielleicht nur, weil sie wissen wollte, ob alles okay sein würde. Sie hatte seine Kleider befühlt, als er nach Hause gekommen war, zerschlissen und dreckverkrustet, so steif und starr vor Schlamm. Hunt wusste, dass sich die Sachen anfühlten, als wären sie in einem Sumpf gewaschen und dann zum Trocken an Ästen aufgehängt worden. Den ganzen Heimweg hatte er es in der Nase gehabt, die Jeans und das Hemd mit dem rauchigen Geruch des Waldes, Flechten und Moos und noch etwas anderes, etwas, von dem er wusste, dass sie es seit Jahren nicht gerochen hatte. Etwas, das ihr zu schaffen machte, das konnte er sehen, und Hunt wusste, dass es Angst war.
    Sein Blick huschte einmal kurz durchs Zimmer, während sie versuchte, ihn zur Ruhe zu bringen. »Ich werde dir vertrauen«, sagte sie. »Ich werde dir vertrauen, und ich will nicht, dass du mir was anderes sagst.«
    »Keine Sorge«, sagte er noch einmal. »Eddie kommt vorbei, und wir regeln das.«
    Nora starrte ihn noch einen Moment lang an. Er konnte sehen, dass sie unsicher war, dass sie keine Ahnung hatte, was sie tun oder wie sie reagieren sollte. Er war nie ein Mensch gewesen, der aus dem Fenster starrte. War sich seiner selbst stets sicher, hatte immer alles unter Kontrolle. »Ich mache Kaffee«, sagte sie.
    Als sie fort war, ging Hunt wieder zum Fenster. Wenn er sich streckte, konnte er das kalte Metall der Browning am Rücken spüren, wo der Lauf zwischen Unterhose und Jeans klemmte. Unwillkürlich schauderte er und hatte eine kurze Vision von sich und Nora, wie sie Hand in Hand in eine unbekannte Finsternis hineinrannten.
    ***
    »Ich hab nicht gesagt, dass ich es garantiere«, sagte Eddie. Er saß allein da, das Handy ans Ohr gedrückt. Der Lincoln stand mit eingeschalteter Warnblinkanlage am Straßenrand, auf halbem Weg zu Hunts Hütte. Das Einzige, was diese Straße herunterkam, waren Containerlaster und Sattelschlepper. »Ich arbeite jetzt seit zwanzig Jahren mit diesen Typen. Ich hab nicht gesagt, ich garantier’s, aber ich vertraue ihnen. Das war irgend so ein Deputy, der den Helden markiert hat. Nein. Ich wünschte, ich könnte Ihnen das sagen, kann ich aber nicht. Wir können eine Lösung finden. Ja, ich erinnere mich. Nein, ich glaube nicht, dass das nötig ist. Ist ’ne gute Crew. Es muss doch irgendetwas geben, was man tun kann.« Seine Stimme wurde leiser. »Ja, ich verstehe. Ich melde mich später noch mal.«
    Eddie schleuderte das Handy von sich, so dass es von der Windschutzscheibe abprallte. Er presste beide Handflächen vor die Augen, noch ehe er das Telefon klappernd auf dem Armaturenbrett aus Plastik aufschlagen hörte. Sein Atem ging stoßweise, füllte ihm die Wangen und platzte dann hervor. Seine Hände lagen noch immer vor den Augen, die Finger streckten sich in sein Haar hinauf. Er wusste, was jetzt passieren würde. Man hatte ihm das alles erklärt. Aber zwanzig Jahre hatten ihn zuversichtlich gemacht. Hatten ihn denken lassen, dass es nicht so kommen würde. Dass es nicht so kommen konnte.
    Die Stimme des Anwalts war sehr deutlich gewesen. Eddie glaubte nicht, dass der Mann ganz astrein war. War wahrscheinlich auf irgendwelchen echt teuren Drogen. Irgend so ein Laborzeug, das ihn nichts fühlen ließ. Das ihn so über Menschen denken ließ, wie er es tat. Nichts ergab irgendeinen Sinn,

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